Ich hatte die Gruppe zum Ölberg[1]
bestellt, der sich außen zwischen zwei Pfeilern der Kirche an der Nordseite
befindet.
Ganz links kniet Jesus, „bis an
den Tod betrübt“ (Math. 26, 38) und betet: „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe
dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!“
(Math. 26, 39). Aus einer Wolke tritt an der linken Wand ein Engel mit einem
goldenen Kelch heraus. Jesus hatte, wie es bei Matthäus ausdrücklich heißt, die
drei Jünger mitgenommen, die auch schon bei der Verklärung am Berg Tabor (Math.
17, 1 – 13) dabei waren: Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus (Math. 26, 37).
Die drei Jünger sitzen rechts mit geschlossenen Augen.
Jesus hatte die Jünger gebeten,
zu wachen, während er betet. Aber er kommt dreimal wieder und muss feststellen,
dass sie schlafen. Er macht laut Markus (14, 37) Petrus den Vorwurf: „Simon,
schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen?“ und fordert die drei
noch einmal auf: „Wachet und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallet! Der
Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ (Markus 14, 38). Lukas
ergänzt: „Und es geschah, dass er (Jesus) mit dem Tode rang und betete
heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde.“
(Lukas, 22, 44).
Jesus am nächsten ist Johannes,
der bartlose Jüngling, in der Mitte Petrus mit einem Schwert in der Hand und
ganz rechts außen Jakobus. Alle drei Apostel haben ein Buch auf dem Schoß, das
sie als Evangelisten auszeichnet: es existiert sowohl ein apokryphes Petrus-,
als auch ein apokryphes Jakobus-Evangelium.
Johannes wird hier als bartloser
Jüngling dargestellt, während die beiden anderen Jünger durch ihre Bärte als
ältere Männer auffallen. In allen Darstellungen erscheint Johannes jung und
bartlos, oft mit einem Kelch als Attribut, der auf seine Legende hinweist.[2]
Hier wird also offensichtlich der Zebedäus-Sohn mit dem Evangelisten
gleichgesetzt, wie durchgehend in der mittelalterlichen christlichen
Ikonografie. Dabei fehlt ausgerechnet die Gethsemane-Szene im
Johannes-Evangelium, worauf Johannes Hemleben in der 1972 veröffentlichten
Rororo-Bild-Monographie „Evangelist Johannes“ hinweist. Johannes stellt
lediglich fest: „Da Jesus solches geredet hatte, ging er hinaus mit seinen
Jüngern über den Bach Kidron; da war ein Garten, darein ging Jesus und seine
Jünger. Judas aber, der ihn verriet, wusste den Ort auch, denn Jesus
versammelte sich oft daselbst mit seinen Jüngern.“ (Joh. 18, 1 – 2).
Das ist in der Tat erstaunlich,
da man doch annehmen muss, dass gerade Johannes die wichtige Szene als
unmittelbarer Zeuge besonders gut hätte schildern können. Kein Wort von der
schmerzlichsten Stunde Jesu unmittelbar vor seiner Gefangennahme, als das Drama
der Kreuzigung seinen Anfang nahm, in seinem Evangelium! Nur die drei
Synoptiker schildern sie.
In der Ölberg-Szene, die seit dem
15. Jahrhundert gewöhnlich als Gruppe mit vollplastischen Figuren dargestellt
ist und wie eine Szene aus einem Passionsspiel anmutet, erscheint jedes Mal im
Hintergrund der drei schlafenden Jünger die Schar der Schächer, die angeführt
von dem Verräter Judas Jesu gefangen nehmen. So sieht man auch in der Haller
Ölberg-Darstellung eine Gruppe Männer hinter einem geflochtenen Zaun. Ein
Torbogen steht in der Mitte und zeigt an, dass es hier ein Draußen und ein
Drinnen gibt. Der Garten Gethsemane war ein von einem Zaun umschlossener Besitz,
der zu einem Hof gehörte. Eigentlich müsste unter dem Torbogen Judas als
Anführer der Tat stehen. Aber die Einzelplastik wurde gestohlen, so dass in
Schwäbisch Hall der Verräter fehlt.
Unmittelbar voraus ging dieser
Szene das letzte Abendmahl am Gründonnerstag. Das wiederum schildern alle vier
Evangelien. Im Johannes-Evangelium steht jenes Gespräch, das Leonardo da Vinci
als Vorlage zu seiner Abendmahls-Darstellung nahm, bereits im 13. Kapitel, Vers
21 - 30:
Jesus wurde „betrübt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die
Jünger untereinander an, und ward ihnen bange, von welchem er redete. Es war
aber einer unter seinen Jüngern, welchen Jesus liebhatte, der lag bei Tische an
der Brust Jesu. Dem winkte Petrus und sprach zu ihm: Sag, wer ist’s, von dem er
redet! Der lehnte sich an die Brust Jesu und sprach zu ihm: Herr, wer ist’s?“
(Joh. 13, 21 – 25).
Hier erfährt man im
Johannes-Evangelium zum ersten Mal von dem Jünger, den Jesus liebhatte. In
unzähligen Abendmahl-Darstellungen sieht man diesen bartlosen Jüngling an Jesu
Brust liegen und jeder identifiziert ihn mit Johannes. Es ist auch Johannes,
aber nicht Johannes, der Zebedäus-Sohn, sondern Johannes, der Evangelist.
Im Johannes Evangelium gibt es
nur drei Personen, von denen es heißt, Jesus hatte sie lieb: Lazarus und seine
beiden Schwestern Martha und Maria Magdalena (Joh. 11, 5). Im griechischen
Urtext steht dafür das Verb „egapesen“. Das weist auf die Gottesliebe (die Liebe
Gottes zu den Menschen) hin, die bereits im Altertum bisweilen von den beiden
anderen Formen der Liebe getrennt wurde: Die Gottesliebe „Agape“ steht über der
Nächstenliebe (griechisch „Philia“, lateinisch „Caritas“) und über der
erotischen Liebe (Eros).
Von der Caritas spricht der
Christus im Tempel von Jerusalem, als er seine Jünger und alle Menschen
auffordert: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Markus 11,
31).
Johannes Hemleben weist in seiner
sehr lesenswerten Monografie auch auf das Gespräch hin, das Petrus mit Jesus
hat und das im letzten Kapitel des Johannes-Evangeliums (Joh. 21, 15 – 23)
geschildert wird:
Jesus fragt Petrus dreimal, ob er
ihn liebe. Petrus bejaht dreimal, so wie er Jesus vor der Verurteilung dreimal
verleugnet hat. Jedes Mal erhält er zur Antwort: „Weide meine Lämmer!“ Zum
Schluss sagt Jesus noch zu Petrus: „Folge mir nach!“
Dabei muss man wissen, dass Simon
Petrus und sein Bruder Andreas die ersten beiden Jünger waren, die Jesus am See
Genezareth zur Nachfolge berufen hat. Unmittelbar darauf folgen die Söhne des
Zebedäus, Johannes und Jakobus der Ältere (Math. 4, 18 – 22). Alle vier waren
einfache Fischer. Diese Männer hatten mit Sicherheit nicht die höhere Bildung,
über die der Evangelist Johannes verfügte.
Unmittelbar nach der Aufforderung
Jesu, ihm „nachzufolgen“ heißt es im Johannes-Evangelium (Joh. 21, 20 – 22):
„Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, welchen Jesus liebhatte,
der auch an seiner Brust beim Abendessen gelegen hatte und gesagt: Herr, wer
ist’s, der dich verrät? Da Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was
wird aber mit diesem? Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibe, bis
ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach!“
Unmittelbar danach bekennt der
„Jünger, den der Herr liebhatte“, dass er es war, der das letzte Evangelium
geschrieben hat: „Dies ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt und dies
geschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahrhaftig ist.“ (Joh. 21,
24)
Dabei fällt die „Konkurrenz-Situation“
zwischen Petrus und dem Jünger, „den der Herr lieb hatte“ auf. Schon in der oben
zitierten Stelle aus der Abendmahls-Schilderung scheint Petrus den Jünger an
Jesu Brust als Autorität anzuerkennen, wenn er ihn auffordert, den Herrn zu
fragen, anstatt ihn gleich selbst zu fragen. Dieser geheimnisvolle Jünger
scheint Jesu besonders nahe zu stehen.
Ist der Evangelist gleichzusetzen
mit dem Zebedäus-Sohn, der kurz darauf beweist, dass sein Fleisch stärker ist
als sein Geist, weil auch er „nicht einmal eine Stunde wachen“ konnte, während
Jesu beim Gebet Blut schwitzte? Ist der einfache Fischer Johannes, der Bruder
des Jakobus, der Jünger, der das Johannes-Evangelium geschrieben hat, das an
den Beginn den Logos oder anders ausgedrückt: den Geist stellt? Ist der
einfache Fischer der gleiche, der sich unter den vier Evangelien-Schreibern als
der gebildetste und spirituellste zeigt und der auf den gleichen Namen hört?
Hier stehen wir vor einem der
Rätsel, welches uns die vier kanonischen
Evangelien bereiten. Um die Annäherung an dieses Geheimnis geht es bei meiner
Führung durch Sankt Michael am 21. Juli 2017.
Die nächste Station ist der
Sippenaltar in der mittleren der fünf Chorkapellen. Diese Retabel stammt
ursprünglich aus der Friedhofskapelle, die der Heiligen Anna geweiht war, und
die bei der Erweiterung von Halle und Chor im 15. Jahrhundert abgetragen werden
musste. Der Altar, der in der zentralen Achse unmittelbar hinter dem
großartigen Hauptaltar eines Antwerpener Meisters steht, zeigt eine der
zahlreichen Darstellungen der „Heiligen Sippe“.
Die meisten mittelalterlichen
Bildwerke, so auch der Antwerpener Altar, illustrieren Geschehnisse aus der
Bibel. Neben der Bibel gab es aber mündliche Überlieferungen, die vorwiegend im
9. Jahrhundert aufgeschrieben wurden. Dazu gehören die zahlreichen
Heiligenviten, aber eben auch die Berichte von den Verwandten Jesu, die zum
Teil auch in den Evangelien auftreten, ohne dass man mehr über sie erfährt. So
erwähnt der Evangelist Johannes drei Frauen, die unter dem Kreuz von Golgatha
standen: „Es stand aber bei dem Kreuze Jesu seine Mutter und seiner Mutter
Schwester, Maria des Kleopas Frau, und Maria Magdalena.“ (Joh. 19, 25).
Matthäus erwähnt noch weitere Frauen: „Und es waren viele Frauen da, die von ferne
zusahen, die da Jesus waren nachgefolgt aus Galiläa und hatten ihm gedient;
unter welchen war Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und Joseph,
und die Mutter der Kinder des Zebedäus.“ (Math. 27, 55 – 56). Ähnlich lautet
die Stelle bei Markus (15, 40 – 41). Hier wird von einer Maria gesprochen,
welche „die Mutter Jakobus des Kleinen und des Joses“ war. Außerdem ist von
einer „Salome“ die Rede. Salome wird kurz darauf als eine der drei Frauen noch
einmal erwähnt, die am Ostersonntagmorgen zum Grab kamen, um Jesus mit
Spezereien, die sie noch am Abend zuvor gekauft hatten, zu salben (Markus 16,
1). Lukas kennt sogar neben Maria Magdalena und „Maria, des Jakobus Mutter“
noch eine Johanna (Luk. 24, 10).
Über all diese Frauen erfahren
wir in der Bibel wenig. Erst in den Legenden wird ihre genaue Herkunft erklärt.
Dort erfährt man, dass Anna, die Mutter der Maria, dreimal verheiratet war und
drei Töchter geboren hat, die alle drei auf den Namen Maria hörten.
In der Mitte des Sippen-Altars
sehen wir Anna und Maria, die Mutter Jesu, die dem Joseph (genau hinter Maria)
anvertraut war. Diese Maria entstammt der Ehe Annas mit Joachim (zwischen Maria
und Anna)[3].
Nach Joachims Tod war Anna ein zweites Mal verheiratet, und zwar mit einem Mann
namens Kleophas (rechts zwischen Salomas und Alphäus). Aus dieser Ehe ging
Maria Kleophas hervor. Zusammen mit ihrem Mann Alphäus (oben ganz rechts) hatte
sie vier Söhne: Jakobus den Jüngeren[4],
Joseph justus und die zwei späteren Apostel Simon Zelotes und Judas Thaddäus[5].
Schließlich heiratete Anna in dritter Ehe den Salomas (rechts neben Joachim). Die
Tochter aus dieser Ehe war Maria Salome, die wiederum mit Zebedäus (ganz links
oben hinter Maria Salome) verheiratet war und mit ihm zwei Söhne hatte: Jakobus
den Älteren[6] und
Johannes.
Auf dieser Darstellung haben alle
Frauen bedecktes Haar, wie es sich für verheiratete Frauen im Mittelalter
ziemte. Nur Maria, die Magd des Herrn, trägt ihre Haare als Zeichen ihrer
Jungfräulichkeit offen. Die geschnitzten Figuren der Heiligen Sippe entstanden
im Jahre 1509 „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ (Wolfgang Deutsch) in der
Werkstatt des Bildhauers Hans Beuschers. Leider sind im Laufe der Jahrhunderte
zwei Figuren abhanden gekommen: das Jesuskind vom Schoß der Maria und der
Johannes-Knabe zu Füßen Maria Salomes.
Damit haben wir den
Familienzusammenhang des ersten Johannes Zebedäus geklärt. Es kann dem
Betrachter dadurch bewusst werden, dass der spätere Messias in eine
umfangreiche Familie geboren wurde, in der es nur so von Kindern wimmelt[7].
Dass Anna die Patronin der Haller
Friedhofskapelle war, zeigt an, dass die Verstorbenen der Stammmutter Jesu und
ihrer Heiligen Familie nah sein, gewissermaßen im Tode in diese Familie
aufgenommen werden wollten.
Als nächstes wenden wir uns der
Rückseite des Hauptaltars zu, der in einer Grisaille-Darstellung die Erhöhung
der Ehernen Schlange durch Moses zeigt. Diese Darstellung kam viel später, im
Jahre 1587, also ca. 120 Jahre nach der Entstehung des vorreformatorischen Antwerpener
Altars im Jahre 1460, hinzu und versinnbildlicht eine Grundaussage der
Reformation. Auf der Vorderseite zeigt ein Triptichon die Kreuztragung, die
Kreuzigung und die Kreuzabnahme Christi mit 47 geschnitzten Figuren und sechs
geschnitzten Pferden. Genau hinter dem Kreuz, an dem Christus „erhöht“ wird,
„erhöht“ Moses auf der Rückseite die Eherne Schlange.
Die Darstellung geht auf 4. Mose
21, 6 – 9 zurück, wo es im Alten Testament heißt: „Da sandte der HERR feurige
Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk und viele aus Israel starben. Da
kamen sie zu Moses und sprachen: wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN
und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns
nehme. Und Moses bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Moses: Mache dir eine
eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und
sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete
sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne
Schlange an und blieb leben.“
Den Bezug zwischen der Szene aus
dem Alten Testament und der Kreuzigung im Neuen Testament stellt der Evangelist
Johannes bereits im 3. Kapitel (1 – 21) her, lange bevor Christus gekreuzigt
wird. Dort erzählt er von einem „Obersten unter den Juden“, vom Pharisäer
Nikodemus, der Jesus „bei der Nacht aufsuchte“ (Joh. 3, 1). In dem Gespräch
geht es um das Thema „Fleisch und Geist“, das schon in der Ölbergszene
gestreift wurde. Nikodemus hatte Jesu auf die wirksamen Zeichen angesprochen,
die er vollbringt. Christus erklärt, dass man solche nur tun könne, wenn man
„von neuem geboren werde“ Erst der,
welcher aus dem Geiste neu geboren wird, könne das Reich Gottes „sehen“. Jesus
erläutert: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist
geboren ist, das ist Geist.“ (Joh.3, 6).
Dann fährt Jesus fort, eines der
Zeichen zu erklären, das jedem Schriftgelehrten jener Zeit vertraut war,
nämlich die Erhöhung der Ehernen Schlange durch Mose: „Wie Mose in der Wüste
die Schlange erhöht hat, so muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass
alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt
geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn
glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat
seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass
die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet;
wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet.“ (Joh. 3, 14 – 18).
Martin Luther (1483 – 1546) hat
diese Bibelstelle herangezogen um seine zentrale Lehre von der Rechtfertigung
zu stützen. Nicht durch gute Werke oder den Ablass-Pfennig sei der Mensch
errettet, sondern allein durch den Glauben („Sola Fide“). Es reiche, den
gekreuzigten Christus anzuschauen und zu glauben. „Jene, die auf die „eherne
Schlange“ blickten, wurden gerettet; jene, die auf das Kreuz blicken, also
jene, die glauben, werden erlöst. Luther erläuterte mehrfach in seinen
Schriften, dass der Blick auf die Eherne Schlange gleichzusetzen sei mit dem
Glauben.“[8]
An dieser Stelle erkennen wir
eine der wichtigen biblischen Quellen der Reformation.
So wenden wir uns dem Reformator
Schwäbisch Halls zu, der ebenfalls den Vornamen Johannes trägt. Wir betrachten
das Epitaph des Geistlichen an der Wand des nördlichen Seitenschiffes. Dort ist
auch ein Datum angegeben, das auf einen dritten Johannes hinweist, den Täufer.
Neben Johannes Zebedäus und
Johannes dem Evangelisten gelangen wir so zu Johannes dem Täufer, denn Johannes
Brenz erhielt seinen Vornamen, weil er an einem
24. Juni geboren wurde, also am Tag des Täufers.
Der Tag des Johannes Evangelista
ist der 27. Dezember, der Tag des Johannes Baptista der 24. Juni. Im Volksmund
wird jener als „Winter-Hans“, dieser als „Sommer-Hans“ bezeichnet.
Das Besondere am Johannes-Tag
ist, dass es sich dabei nicht wie bei den anderen Daten des Heiligenkalenders um
den Todestag, sondern um den Geburtstag des Täufers handelt. Johannes wurde
exakt sechs Monate vor Christus geboren. Jener erblickte das Licht der Welt an
einem der längsten, dieser an einem der kürzesten Tage des Jahres. So sind die
Geburten der beiden komplementär in den kosmischen Jahreslauf eingebunden, wenn
man bedenkt, dass es sich um die beiden Sonnenwenden handelt, die Sommer- und
die Wintersonnenwende.[9]
Dass Johannes der Evangelist, „der
Jünger, den Christus liebhatte“, an einem 27. Dezember, also nur drei Tage nach
der (traditionellen) Christgeburt, gestorben ist, scheint kein Zufall zu sein.
Er war der einzige von allen Jüngern, der unter dem Kreuz stehen konnte. Er
nahm im Auftrag Christi Maria „als Mutter“ zu sich (Joh. 19, 26 – 27), zog mit
ihr nach Ephesus, wo der große Artemis-Tempel stand, und starb der Legende nach
als einziger Jünger hochbetagt mit den Worten „Kindlein, liebet euch untereinander“
mit einer wunderbaren Lichterscheinung eines natürlichen Todes. Er ist der
einzige Jünger, von dem es keine Reliquien gibt.
Das Haupt Johannes des Täufers,
das Herodias, die Konkubine des Herodes, gefordert und nach dem „Tanz der sieben
Schleier“ ihrer Tochter Salome bekommen hat, liegt noch heute in einem Schrein
der Johannes-Basilika von Damaskus, die nach der Islamisierung Syriens unter
den Umayyaden zwischen 708 und 715 n. Chr. in eine Moschee umgewandelt wurde.
Johannes dem Täufer sind vor
allem Baptisterien, also Taufkirchen wie in Pisa oder Florenz, geweiht. Sankt
Michael war ursprünglich eine Filialkirche von Sankt Johannes in Steinbach am
Kocher. Diese Kirche, die dem Täufer geweiht ist, war wiederum abhängig von
Sankt Nikolaus, der Kirche im nahe gelegenen Benediktinerkloster Groß-Comburg.
Johannes Brenz, der nicht nur in
Schwäbisch Hall einen „Sinneswandel“ der Bevölkerung herbeiführte, sondern auch
in ganz Baden Württemberg unter Herzog Christoph die Reformation einführte, erweist
sich als guter Jünger des Täufers, der einst am Jordan mit dem Wort auftrat:
„Ändert euren Sinn!“ (Meta Noiete).
Der Reformator wurde am 24. Juni
1499 in Weil der Stadt geboren, einer kleinen Reichsstadt, die damals knapp
1000 Einwohner zählte. In dieser Stadt wurde 72 Jahre später am Tag des
Evangelisten Johannes ein anderer berühmter Träger dieses Namens geboren: der
bedeutende Astronom und Astrologe Johannes Kepler (27.12, 1571 – 15. 11. 1630).
Johannes Brenz, der älteste Sohn
des Weiler Bürgermeisters Martin Hess, ging mit 15 Jahren nach Heidelberg zum
Studieren. Schon als Knabe pflegte er kurz nach Mitternacht aufzustehen und in
der Wohnstube Bücher zu lesen. Nachdem er die Artistenfakultät durchlaufen
hatte, wurde er Magister und unterrichtete daselbst. Nebenher studierte er
Theologie und gab die Schriften des Aristoteles heraus. Johannes war ein „vir
trilinguis“: er beherrschte die drei biblischen Sprachen Latein, Griechisch und
Hebräisch. Einer der ersten "Dreisprachler" im 15. Jahrhundert war der bekannte Pforzheimer
Humanist Johannes Reuchlin (1455 – 1522)[10],
der von 1496 – 1498 ebenfalls in Heidelberg wirkte. Am 26. April 1518 lernte
Johannes Brenz Martin Luther bei einer Disputation in Heidelberg persönlich
kennen und blieb ein Leben lang mit ihm befreundet, genauso wie mit dessen
Wittenberger Weggefährten Philipp Melanchthon (1497 – 1560) aus Bretten, einem
Großneffen Reuchlins, der später den Ehrennamen „Praeceptor Germaniae“ (Lehrer Deutschlands)
erhielt.
1522 wurde Brenz an die
Stadtkirche Sankt Michael in der reichen Salzstadt Schwäbisch Hall berufen, wo
er Stadtpfarrer wurde. Zwei Jahre später bekam er „einen zweiten Johannes“ zum
Kollegen: Johannes Isenmann (um 1495 – 1674), ein Freund, der ebenfalls in
Heidelberg studiert hatte und wie Brenz den Ideen Martin Luthers gegenüber
aufgeschlossen war. Zusammen mit Michael Gräter, der Pfarrer an der Kirche
Sankt Katharina in der Haller Katharinen-Vorstadt wurde, führte er Schritt für
Schritt und ohne Gewalt die Reformation in der reichen Stadt ein.
Ein wesentlicher Schritt dabei
war die erste Feier des Abendmahls in beiderlei Gestalt, also mit Brot und
Wein, welche die beiden Johannes,
Johannes Brenz und Johannes Isenmann, am Dreikönigsaltar in einer
nördlichen Seitenkapelle Sankt Michaels am Weihnachtsabend des Jahres 1526
zelebrierten.
Zum endgültigen Bruch mit der katholischen
Kirche kam es, als Johannes Brenz im Jahre 1530 die Schwester seines Kollegen
Michael Gräter und Witwe des Haller Ratsherrn Hans Wetzel, Margarete Gräter,
heiratete, deren Epitaph gleich neben dem ihres Ehemannes hängt. Mit ihr hatte
Brenz fünf Töchter und einen Sohn. An seinem 49. Geburtstag, am 24. Juni 1548, musste Brenz aus Schwäbisch
Hall fliehen. Die Stadt war im Schmalkaldischen Krieg von den Truppen des streng
katholischen Kaisers Karl V., der im Auftrag des Papstes Martin Luther und die
Protestanten seit dem Reichstag zu Worms 1521 verfolgte, besetzt worden.
Später wurde Brenz, der 1530 auch
am Reichstag zu Augsburg teilgenommen und zusammen mit Philipp Melanchthon das
„Augsburger Bekenntnis“, die zentrale protestantische Bekenntnisschrift,
verfasst hatte, unter Herzog Christoph von Württemberg herzoglicher Ratgeber
und Stiftsprobst an der Stuttgarter Stiftskirche. In Stuttgart starb Johannes
Brenz, „Luthers Mann in Süddeutschland“, am 11. September 1570.
Nach dem Tod seiner ersten Frau
Margarete hatte er 1550 noch einmal geheiratet. Seine zweite Frau hieß wie
seine Mutter Katharina und war wie seine erste Frau Margarete eine Nichte
seines Haller Kollegen Johannes Isenmann.
Die Namen Margarete (Tag: 20.
Juli) und Katharina (Tag: 25. November) sind also dem Haller Reformator wohl
vertraut.
Namen waren damals immer mit den
entsprechenden Heiligen oder Märtyrern verbunden. In der Regel erhielten
Neugeborene die Namen des Tagesheiligen ihres Geburtstages. Das war auch bei
Martin Luther der Fall, der an einem 10. November geboren und am
darauffolgenden Tag, an Sankt Martin (11. November) getauft worden ist. Wegen
der großen Kindersterblichkeit im ausgehenden Mittelalter war das üblich und
blieb bis ins 20. Jahrhundert in katholischen Regionen Brauch. In evangelischen
Gegenden wurden die Heiligen-Verehrung und der Marien-Kult nach der Reformation
abgeschafft.
Die nächste Station unserer
Kirchenbesichtigung ist der Dreikönigsaltar,
an dem Johannes Brenz und Johannes Isenmann am 24. Dezember 1526 zum ersten Mal
in Schwäbisch Hall das lutherische Abendmahl gefeiert haben.
Auf dem Dreikönigsaltar, den der
Würzburger Vikar Kilian Kempffennagel 1521 gestiftet hat, sind neben der
Anbetung der heiligen drei Könige nach Matthäus die Jünger Johannes mit dem
Kelch (links oben), Andreas mit dem X-förmigen Andreaskreuz (oben rechts), der
Apostel Petrus (unten links) und Paulus (unten rechts) dargestellt. Zwischen
Peter und Paul sind die drei Frankenapostel, die Iroschotten Kilian (in der
Mitte) und rechts und links von ihm der Diakon Totnan und der Priester Colonat
zu sehen. Alle drei folgten der strengen Regel des Columban.
Kilian (Tag: 8. Juli) kam im 7.
Jahrhundert ins damalige Thüringen um die Heiden zu missionieren. Dabei machte
er dem Herzog Gozbert den Vorwurf, dass er seine Schwägerin Geilana zur
Konkubine genommen hatte. Diese rächte sich dann bitter an den drei christlichen
Missionaren und ließ sie während des Gebetes in einer Kapelle enthaupten. Die
Kapelle ließ sie niederreißen und an ihrer Stelle einen Pferdestall errichten.
Die Pferde scheuten jedoch vor dem blutigen Boden. Schließlich entdeckte man
die Leichname und errichtete über dem Grab das Neumünster, Würzburgs älteste
Kirche.
Die Geschichte erinnert stark an
die von Johannes dem Täufer, der seine Vorwürfe gegen den König Herodes, der
das Bett mit seiner Schwägerin Herodias teilte, mit der Enthauptung büßte. Der
Todestag Johannes des Täufers ist der 29. August. Er war in Irland ein hoher
Feiertag, vergleichbar nur mit Karfreitag. Dem Vorläufer Christi galt die
besondere Verehrung auf der grünen Insel.
Sankt Michael gehörte
ursprünglich zum Bistum Würzburg. Am 10. Februar 1156 hatte der Bischof von
Würzburg die Michaelskirche als Filialkirche der Johanneskirche von Steinbach
geweiht. Die dem Täufer geweihte Kirche liegt auf einem Kalksinterfelsen über
dem Kocher unmittelbar neben dem Umlaufberg, auf dem die ehemalige
Benediktinerabtei Groß-Comburg wie eine Gralsburg in den Himmel ragt.
Vom Dreikönigsaltar begeben wir
uns in das erste Turmgeschoss, in dem sich die romanische Magdalenen-Kapelle
mit ihren wunderbaren Fresken befindet.
An der Westwand mit der Turmuhr
stehen links und rechts des Fensters Johannes der Täufer und Johannes der
Evangelist mit ihren Attributen: der Täufer hat eine Scheibe mit dem Lamm, der
Evangelist ein Buch in der Hand.
An der Nordwand sehen wir links
des Fensters die Heilige Katharina mit dem Rad, rechts die Himmelfahrt Maria
Magdalenas. An der Ostwand schließlich ist jene Osterszene abgebildet, in der
Maria Magdalena am Ostermorgen dem Auferstandenen begegnet und ihn zunächst für
den Gärtner hält. Als er sie bei seinem Namen ruft, erkennt sie ihn und will
ihn berühren. Christus aber spricht: „Noli me tangere!“ (Berühre mich nicht!).[11]
Katharina gehört mit Barbara, der
Patronin der Sterbenden und Margareta, der Patronin der Gebärenden zu den drei
„virgines capitales“. Diese genossen im Mittelalter eine besondere Verehrung
und so entstand der Spruch:
„Die Bärbel mit dem Turm, die
Katrin mit dem Radl, die Margret mit dem Wurm: Das sind unsere heiligen drei Madl.“
Katharinas Rad kann als Rad des
Lebens gedeutet werden.
Die Heilige Katharina von
Alexandria war eine hochgebildete Jungfrau, die der Legende nach 50
Philosophen, die der römische Kaiser Maxentius kommen ließ, widerlegte und zum
Christentum bekehrte.
Erstaunlich ist, dass in dieser
Kapelle, die auch als Kaiserempore gedeutet wird, nicht nur die beiden
Johannes, sondern auch zweimal Maria Magdalena (Tag: 22. Juli) dargestellt ist.
Der Legende nach fuhr die „Apostola Apostolorum“ (Thomas von Aquin) an einem
Ostersonntag, getragen von sechs Engeln, leiblich in den Himmel auf. Diese
„Himmelfahrt“ ist in vielen Darstellungen überliefert, so zum Beispiel auch auf
dem Magdalenen-Altar des See-Meisters in der Haller Johanniter-Kirche, in der
seit 2008 die Sammlung „Alte Meister“ des Künzelsauer Unternehmers und Mäzens
Reinhold Würth untergebracht ist. Dabei wird Magdalena, die 30 Jahre lang im
Sainte-Baume-Gebirge in der Nähe der Stadt Aix-en-Provence als Einsiedlerin
gelebt hat, am ganzen Körper behaart dargestellt. Diese starke Körperbehaarung
geht offenbar auf einen genetischen Defekt zurück und ist auch bei einem
anderen Heiligen zu beobachten, der auf der Rückseite des Dreikönigsaltars
dargestellt ist: Es handelt sich um Onuphrius (Tag: 10. Juni), den der
Welfenherzog Heinrich der Löwe besonders verehrt hat.
Der Leib der Maria Magdalena ruhte
zuerst in der Kathedrale von Aix-en-Provence, wurde aber nach deren Zerstörung
nach Vezelay gebracht, wo er bis heute verehrt wird.
Maria Magdalena ist aus den
Evangelien bekannt als eine der Schwestern des Lazarus. Die andere Schwester
ist Martha (Tag: 29. Juli).
Nun ist es Zeit, das Geheimnis
des bartlosen Jünglings zu erhellen, der an der Westwand der Magdalenen-Kapelle
dem Täufer gegenübersteht und mit dem Evangelisten Johannes identifiziert wird.
Solche Gegenüberstellungen waren im Mittelalter häufig. Die berühmteste ist die
Kreuzigungsszene aus dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, auf der der
Evangelist links unter dem Kreuz, die das Bewusstsein verlierende Maria
haltend, und der Täufer rechts unter dem Kreuz mit einem Lamm zu seinen Füßen
und mit dem rechten Zeigefinger auf den Gekreuzigten zeigend, dargestellt sind.
Hier hilft eine genaue Lektüre
der Evangelien weiter.
Bei Matthäus (19, 16 – 26), bei
Markus (10, 17 – 27) und bei Lukas (18, 18 – 27) wird im Wesentlichen
übereinstimmend die Begegnung Jesu mit einem Menschen erzählt, dessen Namen –
anders als beim schon erwähnten „Nikodemus-Gespräch“ aus dem
Johannes-Evangelium – an keiner Stelle genannt wird.
Johannes Hemleben weist im
dritten Kapitel seiner
Johannesmonographie darauf hin, dass Matthäus den Mann an zwei Stellen
„neaniskos“ nennt, das heißt „Jüngling“ (Math. 19, 20 und Math. 19, 22). Dieser
Jüngling ist sehr reich und fragt Jesus, was er tun könne, um „das ewige Leben“
zu erlangen. Jesus verweist zuerst darauf, die Gebote einzuhalten und er zählt
einige auf: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht
stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; ehre Vater und Mutter und du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Math. 19, 18 – 19). Der Jüngling
sagt, dass er diese alle gehalten habe. Darauf schlug Jesus dem Jüngling vor,
seine Güter zu verkaufen und das Geld den Armen zu geben. Daraufhin heißt es:
„Da der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt von ihm; denn er hatte viele
Güter“ (Math. 19, 22). Nun folgt bei allen drei Synoptikern das berühmte Wort
Jesu: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein
Reicher ins Reich Gottes komme“ (Math. 19, 24).
In der Theologie ist man deshalb
übereingekommen, dieser Erzählung den Titel „Der reiche Jüngling“ zu geben.
Lukas nennt den „reichen
Jüngling“, der Jesus die Frage stellt, wer denn sein Nächster sei, einen
„Nomikos“, einen Gesetzeskundigen oder Schriftgelehrten (Luk. 10, 25). Dann
folgt bei Lukas als Antwort Jesu auf die Frage das Gleichnis vom „Barmherzigen
Samariter“.
Nur Lukas erzählt im 16. Kapitel
eine Geschichte, in der es um die Beziehung eines reichen Mannes zu einem armen
Mann geht. Der arme Mann trägt den Namen „Lazarus“ (Luk. 16, 19 – 31).
Nur Markus ergänzt an einer
Stelle den Bericht des Matthäus und fügt einen Satz ein, der auch nicht bei
Lukas steht: „Und Jesus sah ihn an und liebte ihn.“ (Mar. 10, 21). Hemleben
betont: „Hier, allein an dieser Stelle wird das Wort gebraucht, das sonst nur
für die Beziehung Jesu zu Lazarus, zu seinen Schwestern Martha und Maria und zu
dem Lieblingsjünger im Johannes-Evangelium verwandt wird: ‚den er lieb hatte‘“[12].
Es war, so sagt Hemleben, der
Schweizer Theologe und Philosoph Johannes Kreyenbühl, der im ersten Band seines
zweibändigen Werkes über das Johannesevangelium mit dem Titel „Das Evangelium
der Wahrheit – Neue Lösung der Johanneischen Frage“ zum ersten Mal den
Zusammenhang zwischen Lazarus und Johannes dem Evangelisten herstellt. Das Buch
wurde im Jahr 1900 veröffentlicht. Aber Hemleben fährt fort: „Erst Rudolf
Steiners Kapitel über das Lazarus-Wunder in seinem 1902 erschienenen Buch „Das
Christentum als mystische Tatsache“ bringt die Lösung.“
Steiner weist im Zusammenhang mit
den Initiationsriten in den antiken Mysterien darauf hin, dass die „Erweckung“
des Lazarus in Wirklichkeit eine Einweihung war, die der Christus selbst als
Hierophant an dem Neophyten Lazarus, der drei Tage in einem todesähnlichen
Schlaf im Grabe lag, vollzogen habe. Es war die Antwort auf die Frage des „reichen Jünglings“,
den Hemleben mit Lazarus identifiziert, nach dem „ewigen Leben“. Da diese Einweihung
öffentlich und nicht, wie üblich, im „Verborgenen“ geschehen war, galt sie den
Juden als „Mysterienverrat“. Das sei laut Steiner der wahre Grund dafür
gewesen, dass sie beschlossen, Jesus zu töten. So heißt es unmittelbar nach der
Erzählung von der Auferweckung des Lazarus, die nur Johannes im 11. Kapitel
seines Evangeliums bringt, folgerichtig: „Von dem Tage an war es für sie
beschlossen, dass sie ihn töteten.“ (Joh. 11, 53).
Nach der Einweihung in Bethanien
bekam Lazarus nach den Erkenntnissen Rudolf Steiners den Namen des Jüngers, den
der Herr lieb hatte: Johannes (= „Gott ist gnädig“).
[1] Die
Ölberg-Gruppe findet sich an vielen Kirchen, meistens außen, manchmal auch
innen. Eigentlich handelt es sich um die Szene im Hof beziehungsweise Garten
Gethsemane, die bei Matthäus im 26. Kapitel (36 – 46), bei Markus im 14.
Kapitel (§2 – 42) und bei Lukas im 22.
Kapitel (39 – 46) unmittelbar vor Jesu Gefangennahme geschildert wird. Nur bei
Johannes fehlt diese Szene. (https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96lberggruppe)
[2] In
Ephesus sollte Johannes einen Kelch leertrinken, in dem Wein mit Gift vermischt
war. Vor ihm hatten andere Männer daraus getrunken und waren tot umgefallen.
Johannes macht das Kreuzeszeichen über dem Kelch. Das Gift entweicht in Gestalt
einer Schlange und Johannes trinkt den Kelch leer, ohne Schaden zu nehmen.
[3] „Die
Eltern Marias, Anna und Joachim, werden zum ersten Mal um die Mitte des 2.
Jahrhunderts in dem apokryphen Proto-Evangelium des Jakobus genannt. Seit dem
9. Jahrhundert wurde die Familie Mariens dann zur Heiligen Sippe erweitert
durch die Legende von der dreimaligen Heirat Annas, die sogenannte
Trinubiumslegende (…) Die Trinubiumslegende verbreitete sich im 12., besonders
aber im 13. Jahrhundert durch eine historische Enzyklopädie des Dominikaners
Vinzenz von Beauvais (gest. 1264) und im Anschluss daran durch die Legenda
aurea. Die Sippendarstellungen erlebten ihre Blütezeit vom 15. bis ins frühe 16. Jahrhundert, dank
einer Annenvision der hl. Colette (1380 – 1447). Sie wurden seltener, als das
Konzil von Trient die Trinubiumslegende gegen Mitte des 16. Jahrhunderts
verbot.“ Wolfgang Deutsch, „Die Denkmale der Michaelskirche einst und jetzt“ in
„Sankt Michael in Schwäbisch Hall“ Swiridoff-Verlag, Schwäbisch Hall 2006
(anlässlich des 850. Jubiläums der Stadt Hall), S. 135. Siehe auch: http://www.musicksmonument.com/Holy_Kinship_Maastricht/Die_heilige_Sippe.html
[4] Jakobus
Minor war ein Apostel Christi und sorgte bisweilen für Verwirrung. Als die
Pilger nach Santiago durch Toulouse in Südfrankreich kamen, gelangten sie in
der dortigen Klosterkirche Saint Sernin, eine der großen Pilgerkirchen am
Jakobsweg, an das Grab eines Jakobus. Es handelte sich aber nicht um den
Zebedäus-Sohn, sondern um den Alphäus-Sohn. Aber bisweilen fragten sich die
Pilger schon, welcher denn nun „der wahre Jakob“ sei. Die Redensart ist bis heute
gebräuchlich.
[5] Beide
haben ihren Tag am 28. Oktober. Judas Thaddäus war der Schreiber der letzten
Epistel des Neuen Testamentes, des kurzen Judas-Briefes.
[6] Jakobus
Major war der erste Apostel, der im Jahre 44 n. Chr. das Martyrium erlitt. Er
wurde enthauptet. Sein Leichnam wurde in ein Boot gelegt, das vom Wind
getrieben, bis nach Galizien an der Westküste Spaniens gelangte. Dort errichtete
man über seinem Grab eine Kirche, die später zu dem berühmten Wallfahrtsort
Santiago de Compostella wurde. Jakobus ist der Patron der Pilger und trägt als
Attribut häufig eine Jakobsmuschel. Schwäbisch Hall hatte einst ebenfalls eine Jakobskirche (die Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters) und liegt deshalb an einem der süddeutschen Jakobswege, die heute noch (oder: wieder) benutzt werden.
[7] Bei all
diesen Familienzusammenhängen muss zunächst unberücksichtigt bleiben, dass um
die Zeitenwende nicht nur eine, sondern zwei „Heilige Familien“ existierten:
die Familie, die am Anfang des Lukas-Evangeliums, und die Familie, die am
Anfang des Matthäus-Evangeliums beschrieben wird. Auch hier waltet ein
Geheimnis. Die Familie des Lukasknaben, zu dem die Hirten kommen, stammt aus
Nazareth in Galiläa (Luk. 2, 4). Sie zieht wegen der Volkszählung unter Kaiser
Augustus in die Stadt Bethlehem, wo sie wegen der Fülle der Menschen nur in
einem Stall eine „Herberge“ findet, in dessen „Krippe“ das Neugeborene gelegt
wird (Lukas 2, 7). Die Familie des Matthäusknaben, zu dem die „Magier“ kommen,
wohnt in einem "Haus" in Bethlehem (Math., 2, 11). Sie muss wegen der Wut des
Herodes nach Ägypten fliehen und zieht nach dem Tod des Monarchen nach Nazareth
„ins galiläische Land“ um (Math. 2, 22). Auch differieren die Stammbäume der
beiden Jesusknaben: Math. 1, 2 – 17 geht über 14 Glieder von Abraham bis König
David, und dann über Salomon (mit einer Lücke von vier Königen) in 28
Generationen bis zu „Joseph, den Mann der Maria“. Lukas 3, 23 – 38 führt den
Stammbaum in rückläufiger Richtung von Joseph über Nathan – nicht Salomon –
zurück auf König David, den ersten gemeinsamen Vorfahren, und dann bis zu Adam,
„der war Gottes“ (Luk. 3, 38).
[8] Dr.
Armin Panter, Leiter des Hällisch-Fränkischen Museums in Schwäbisch Hall in
„Orte der Reformation – Schwäbisch Hall“, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig,
2017, S. 49
[9] So kann
man auch das Täufer-Wort verstehen, wenn er nach Johannes 3, 30 sagt: „Er muss
wachsen, ich aber muss abnehmen.“
[10]
Johannes Reuchlin verkehrte gern in dem Heidelberger Humanisten-Kreis um Jakob
Wimpheling. Er war mehrmals in Rom und Florenz, so zum Beispiel auch im Jahre 1498. Dort
besuchte er die florentinischen Neuplatoniker Pico della Mirandula und Marsilio Ficino, die in einer Villa bei Florenz eine Art „Platonische Akademie“
gründeten.
[11] Weil
Maria Magdalena die erste war, die dem „Auferstandenen“ begegnete, war sie bei
den Gläubigen besonders beliebt. Die Auferstehung von den Toten ist ja das
große Versprechen der christlichen Kirche aller Konfessionen. In Ellwangen an
der Jagst wurde in den vergangenen Jahren (2012 – 2015) in einer mehrjährigen
Grabung ein großer Friedhof auf dem Marktplatz südlich der Sankt-Vitus-Basilika
ausgegraben. Inmitten dieses mittelalterlichen Gottesackers fand man die
Fundamente einer romanischen Kirche, die der Heiligen Magdalena geweiht war. So
wie die Verstorbenen der Urmutter der Heiligen Familie, Anna, im Tode nahe sein
wollten, wie in Schwäbisch Hall durch die Friedhofskapelle belegt ist, so
wollten die Ellwanger Christen der Frau nahe sein, die den Auferstandenen als
erste gesehen hat.
[12]
egapesen