Montag, 24. Juli 2017

Das Geheimnis des "Johannes" - eine Führung durch Sankt Michael, Schwäbisch Hall

Ich hatte die Gruppe zum Ölberg[1] bestellt, der sich außen zwischen zwei Pfeilern der Kirche an der Nordseite befindet.
Ganz links kniet Jesus, „bis an den Tod betrübt“ (Math. 26, 38) und betet: „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ (Math. 26, 39). Aus einer Wolke tritt an der linken Wand ein Engel mit einem goldenen Kelch heraus. Jesus hatte, wie es bei Matthäus ausdrücklich heißt, die drei Jünger mitgenommen, die auch schon bei der Verklärung am Berg Tabor (Math. 17, 1 – 13) dabei waren: Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus (Math. 26, 37). Die drei Jünger sitzen rechts mit geschlossenen Augen.
Jesus hatte die Jünger gebeten, zu wachen, während er betet. Aber er kommt dreimal wieder und muss feststellen, dass sie schlafen. Er macht laut Markus (14, 37) Petrus den Vorwurf: „Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen?“ und fordert die drei noch einmal auf: „Wachet und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ (Markus 14, 38). Lukas ergänzt: „Und es geschah, dass er (Jesus) mit dem Tode rang und betete heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde.“ (Lukas, 22, 44).
Jesus am nächsten ist Johannes, der bartlose Jüngling, in der Mitte Petrus mit einem Schwert in der Hand und ganz rechts außen Jakobus. Alle drei Apostel haben ein Buch auf dem Schoß, das sie als Evangelisten auszeichnet: es existiert sowohl ein apokryphes Petrus-, als auch ein apokryphes Jakobus-Evangelium.

Johannes wird hier als bartloser Jüngling dargestellt, während die beiden anderen Jünger durch ihre Bärte als ältere Männer auffallen. In allen Darstellungen erscheint Johannes jung und bartlos, oft mit einem Kelch als Attribut, der auf seine Legende hinweist.[2] Hier wird also offensichtlich der Zebedäus-Sohn mit dem Evangelisten gleichgesetzt, wie durchgehend in der mittelalterlichen christlichen Ikonografie. Dabei fehlt ausgerechnet die Gethsemane-Szene im Johannes-Evangelium, worauf Johannes Hemleben in der 1972 veröffentlichten Rororo-Bild-Monographie „Evangelist Johannes“ hinweist. Johannes stellt lediglich fest: „Da Jesus solches geredet hatte, ging er hinaus mit seinen Jüngern über den Bach Kidron; da war ein Garten, darein ging Jesus und seine Jünger. Judas aber, der ihn verriet, wusste den Ort auch, denn Jesus versammelte sich oft daselbst mit seinen Jüngern.“ (Joh. 18, 1 – 2).
Das ist in der Tat erstaunlich, da man doch annehmen muss, dass gerade Johannes die wichtige Szene als unmittelbarer Zeuge besonders gut hätte schildern können. Kein Wort von der schmerzlichsten Stunde Jesu unmittelbar vor seiner Gefangennahme, als das Drama der Kreuzigung seinen Anfang nahm, in seinem Evangelium! Nur die drei Synoptiker schildern sie.
In der Ölberg-Szene, die seit dem 15. Jahrhundert gewöhnlich als Gruppe mit vollplastischen Figuren dargestellt ist und wie eine Szene aus einem Passionsspiel anmutet, erscheint jedes Mal im Hintergrund der drei schlafenden Jünger die Schar der Schächer, die angeführt von dem Verräter Judas Jesu gefangen nehmen. So sieht man auch in der Haller Ölberg-Darstellung eine Gruppe Männer hinter einem geflochtenen Zaun. Ein Torbogen steht in der Mitte und zeigt an, dass es hier ein Draußen und ein Drinnen gibt. Der Garten Gethsemane war ein von einem Zaun umschlossener Besitz, der zu einem Hof gehörte. Eigentlich müsste unter dem Torbogen Judas als Anführer der Tat stehen. Aber die Einzelplastik wurde gestohlen, so dass in Schwäbisch Hall der Verräter fehlt.
Unmittelbar voraus ging dieser Szene das letzte Abendmahl am Gründonnerstag. Das wiederum schildern alle vier Evangelien. Im Johannes-Evangelium steht jenes Gespräch, das Leonardo da Vinci als Vorlage zu seiner Abendmahls-Darstellung nahm, bereits im 13. Kapitel, Vers 21 - 30:
Jesus wurde „betrübt  im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ward ihnen bange, von welchem er redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, welchen Jesus liebhatte, der lag bei Tische an der Brust Jesu. Dem winkte Petrus und sprach zu ihm: Sag, wer ist’s, von dem er redet! Der lehnte sich an die Brust Jesu und sprach zu ihm: Herr, wer ist’s?“ (Joh. 13, 21 – 25).
Hier erfährt man im Johannes-Evangelium zum ersten Mal von dem Jünger, den Jesus liebhatte. In unzähligen Abendmahl-Darstellungen sieht man diesen bartlosen Jüngling an Jesu Brust liegen und jeder identifiziert ihn mit Johannes. Es ist auch Johannes, aber nicht Johannes, der Zebedäus-Sohn, sondern Johannes, der Evangelist.
Im Johannes Evangelium gibt es nur drei Personen, von denen es heißt, Jesus hatte sie lieb: Lazarus und seine beiden Schwestern Martha und Maria Magdalena (Joh. 11, 5). Im griechischen Urtext steht dafür das Verb „egapesen“. Das weist auf die Gottesliebe (die Liebe Gottes zu den Menschen) hin, die bereits im Altertum bisweilen von den beiden anderen Formen der Liebe getrennt wurde: Die Gottesliebe „Agape“ steht über der Nächstenliebe (griechisch „Philia“, lateinisch „Caritas“) und über der erotischen Liebe (Eros).
Von der Caritas spricht der Christus im Tempel von Jerusalem, als er seine Jünger und alle Menschen auffordert: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Markus 11, 31).
Johannes Hemleben weist in seiner sehr lesenswerten Monografie auch auf das Gespräch hin, das Petrus mit Jesus hat und das im letzten Kapitel des Johannes-Evangeliums (Joh. 21, 15 – 23) geschildert wird:
Jesus fragt Petrus dreimal, ob er ihn liebe. Petrus bejaht dreimal, so wie er Jesus vor der Verurteilung dreimal verleugnet hat. Jedes Mal erhält er zur Antwort: „Weide meine Lämmer!“ Zum Schluss sagt Jesus noch zu Petrus: „Folge mir nach!“
Dabei muss man wissen, dass Simon Petrus und sein Bruder Andreas die ersten beiden Jünger waren, die Jesus am See Genezareth zur Nachfolge berufen hat. Unmittelbar darauf folgen die Söhne des Zebedäus, Johannes und Jakobus der Ältere (Math. 4, 18 – 22). Alle vier waren einfache Fischer. Diese Männer hatten mit Sicherheit nicht die höhere Bildung, über die der Evangelist Johannes verfügte.
Unmittelbar nach der Aufforderung Jesu, ihm „nachzufolgen“ heißt es im Johannes-Evangelium (Joh. 21, 20 – 22): „Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, welchen Jesus liebhatte, der auch an seiner Brust beim Abendessen gelegen hatte und gesagt: Herr, wer ist’s, der dich verrät? Da Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber mit diesem? Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach!“
Unmittelbar danach bekennt der „Jünger, den der Herr liebhatte“, dass er es war, der das letzte Evangelium geschrieben hat: „Dies ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt und dies geschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahrhaftig ist.“ (Joh. 21, 24)
Dabei fällt die „Konkurrenz-Situation“ zwischen Petrus und dem Jünger, „den der Herr lieb hatte“ auf. Schon in der oben zitierten Stelle aus der Abendmahls-Schilderung scheint Petrus den Jünger an Jesu Brust als Autorität anzuerkennen, wenn er ihn auffordert, den Herrn zu fragen, anstatt ihn gleich selbst zu fragen. Dieser geheimnisvolle Jünger scheint Jesu besonders nahe zu stehen.
Ist der Evangelist gleichzusetzen mit dem Zebedäus-Sohn, der kurz darauf beweist, dass sein Fleisch stärker ist als sein Geist, weil auch er „nicht einmal eine Stunde wachen“ konnte, während Jesu beim Gebet Blut schwitzte? Ist der einfache Fischer Johannes, der Bruder des Jakobus, der Jünger, der das Johannes-Evangelium geschrieben hat, das an den Beginn den Logos oder anders ausgedrückt: den Geist stellt? Ist der einfache Fischer der gleiche, der sich unter den vier Evangelien-Schreibern als der gebildetste und spirituellste zeigt und der auf den gleichen Namen hört?
Hier stehen wir vor einem der Rätsel, welches  uns die vier kanonischen Evangelien bereiten. Um die Annäherung an dieses Geheimnis geht es bei meiner Führung durch Sankt Michael am 21. Juli 2017.

Die nächste Station ist der Sippenaltar in der mittleren der fünf Chorkapellen. Diese Retabel stammt ursprünglich aus der Friedhofskapelle, die der Heiligen Anna geweiht war, und die bei der Erweiterung von Halle und Chor im 15. Jahrhundert abgetragen werden musste. Der Altar, der in der zentralen Achse unmittelbar hinter dem großartigen Hauptaltar eines Antwerpener Meisters steht, zeigt eine der zahlreichen Darstellungen der „Heiligen Sippe“.


Die meisten mittelalterlichen Bildwerke, so auch der Antwerpener Altar, illustrieren Geschehnisse aus der Bibel. Neben der Bibel gab es aber mündliche Überlieferungen, die vorwiegend im 9. Jahrhundert aufgeschrieben wurden. Dazu gehören die zahlreichen Heiligenviten, aber eben auch die Berichte von den Verwandten Jesu, die zum Teil auch in den Evangelien auftreten, ohne dass man mehr über sie erfährt. So erwähnt der Evangelist Johannes drei Frauen, die unter dem Kreuz von Golgatha standen: „Es stand aber bei dem Kreuze Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria des Kleopas Frau, und Maria Magdalena.“ (Joh. 19, 25). Matthäus erwähnt noch weitere Frauen: „Und es waren viele Frauen da, die von ferne zusahen, die da Jesus waren nachgefolgt aus Galiläa und hatten ihm gedient; unter welchen war Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und Joseph, und die Mutter der Kinder des Zebedäus.“ (Math. 27, 55 – 56). Ähnlich lautet die Stelle bei Markus (15, 40 – 41). Hier wird von einer Maria gesprochen, welche „die Mutter Jakobus des Kleinen und des Joses“ war. Außerdem ist von einer „Salome“ die Rede. Salome wird kurz darauf als eine der drei Frauen noch einmal erwähnt, die am Ostersonntagmorgen zum Grab kamen, um Jesus mit Spezereien, die sie noch am Abend zuvor gekauft hatten, zu salben (Markus 16, 1). Lukas kennt sogar neben Maria Magdalena und „Maria, des Jakobus Mutter“ noch eine Johanna (Luk. 24, 10).
Über all diese Frauen erfahren wir in der Bibel wenig. Erst in den Legenden wird ihre genaue Herkunft erklärt. Dort erfährt man, dass Anna, die Mutter der Maria, dreimal verheiratet war und drei Töchter geboren hat, die alle drei auf den Namen Maria hörten.
In der Mitte des Sippen-Altars sehen wir Anna und Maria, die Mutter Jesu, die dem Joseph (genau hinter Maria) anvertraut war. Diese Maria entstammt der Ehe Annas mit Joachim (zwischen Maria und Anna)[3]. Nach Joachims Tod war Anna ein zweites Mal verheiratet, und zwar mit einem Mann namens Kleophas (rechts zwischen Salomas und Alphäus). Aus dieser Ehe ging Maria Kleophas hervor. Zusammen mit ihrem Mann Alphäus (oben ganz rechts) hatte sie vier Söhne: Jakobus den Jüngeren[4], Joseph justus und die zwei späteren Apostel Simon Zelotes und Judas Thaddäus[5]. Schließlich heiratete Anna in dritter Ehe den Salomas (rechts neben Joachim). Die Tochter aus dieser Ehe war Maria Salome, die wiederum mit Zebedäus (ganz links oben hinter Maria Salome) verheiratet war und mit ihm zwei Söhne hatte: Jakobus den Älteren[6] und Johannes.
Auf dieser Darstellung haben alle Frauen bedecktes Haar, wie es sich für verheiratete Frauen im Mittelalter ziemte. Nur Maria, die Magd des Herrn, trägt ihre Haare als Zeichen ihrer Jungfräulichkeit offen. Die geschnitzten Figuren der Heiligen Sippe entstanden im Jahre 1509 „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ (Wolfgang Deutsch) in der Werkstatt des Bildhauers Hans Beuschers. Leider sind im Laufe der Jahrhunderte zwei Figuren abhanden gekommen: das Jesuskind vom Schoß der Maria und der Johannes-Knabe zu Füßen Maria Salomes.
Damit haben wir den Familienzusammenhang des ersten Johannes Zebedäus geklärt. Es kann dem Betrachter dadurch bewusst werden, dass der spätere Messias in eine umfangreiche Familie geboren wurde, in der es nur so von Kindern wimmelt[7].
Dass Anna die Patronin der Haller Friedhofskapelle war, zeigt an, dass die Verstorbenen der Stammmutter Jesu und ihrer Heiligen Familie nah sein, gewissermaßen im Tode in diese Familie aufgenommen werden wollten.

Als nächstes wenden wir uns der Rückseite des Hauptaltars zu, der in einer Grisaille-Darstellung die Erhöhung der Ehernen Schlange durch Moses zeigt. Diese Darstellung kam viel später, im Jahre 1587, also ca. 120 Jahre nach der Entstehung des vorreformatorischen Antwerpener Altars im Jahre 1460, hinzu und versinnbildlicht eine Grundaussage der Reformation. Auf der Vorderseite zeigt ein Triptichon die Kreuztragung, die Kreuzigung und die Kreuzabnahme Christi mit 47 geschnitzten Figuren und sechs geschnitzten Pferden. Genau hinter dem Kreuz, an dem Christus „erhöht“ wird, „erhöht“ Moses auf der Rückseite die Eherne Schlange.


Die Darstellung geht auf 4. Mose 21, 6 – 9 zurück, wo es im Alten Testament heißt: „Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk und viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Moses und sprachen: wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Moses bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Moses: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.“
Den Bezug zwischen der Szene aus dem Alten Testament und der Kreuzigung im Neuen Testament stellt der Evangelist Johannes bereits im 3. Kapitel (1 – 21) her, lange bevor Christus gekreuzigt wird. Dort erzählt er von einem „Obersten unter den Juden“, vom Pharisäer Nikodemus, der Jesus „bei der Nacht aufsuchte“ (Joh. 3, 1). In dem Gespräch geht es um das Thema „Fleisch und Geist“, das schon in der Ölbergszene gestreift wurde. Nikodemus hatte Jesu auf die wirksamen Zeichen angesprochen, die er vollbringt. Christus erklärt, dass man solche nur tun könne, wenn man „von neuem geboren werde“  Erst der, welcher aus dem Geiste neu geboren wird, könne das Reich Gottes „sehen“. Jesus erläutert: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.“ (Joh.3, 6).
Dann fährt Jesus fort, eines der Zeichen zu erklären, das jedem Schriftgelehrten jener Zeit vertraut war, nämlich die Erhöhung der Ehernen Schlange durch Mose: „Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet.“ (Joh. 3, 14 – 18).
Martin Luther (1483 – 1546) hat diese Bibelstelle herangezogen um seine zentrale Lehre von der Rechtfertigung zu stützen. Nicht durch gute Werke oder den Ablass-Pfennig sei der Mensch errettet, sondern allein durch den Glauben („Sola Fide“). Es reiche, den gekreuzigten Christus anzuschauen und zu glauben. „Jene, die auf die „eherne Schlange“ blickten, wurden gerettet; jene, die auf das Kreuz blicken, also jene, die glauben, werden erlöst. Luther erläuterte mehrfach in seinen Schriften, dass der Blick auf die Eherne Schlange gleichzusetzen sei mit dem Glauben.“[8]
An dieser Stelle erkennen wir eine der wichtigen biblischen Quellen der Reformation.

So wenden wir uns dem Reformator Schwäbisch Halls zu, der ebenfalls den Vornamen Johannes trägt. Wir betrachten das Epitaph des Geistlichen an der Wand des nördlichen Seitenschiffes. Dort ist auch ein Datum angegeben, das auf einen dritten Johannes hinweist, den Täufer.
Neben Johannes Zebedäus und Johannes dem Evangelisten gelangen wir so zu Johannes dem Täufer, denn Johannes Brenz erhielt seinen Vornamen, weil er an einem  24. Juni geboren wurde, also am Tag des Täufers.
Der Tag des Johannes Evangelista ist der 27. Dezember, der Tag des Johannes Baptista der 24. Juni. Im Volksmund wird jener als „Winter-Hans“, dieser als „Sommer-Hans“ bezeichnet.
Das Besondere am Johannes-Tag ist, dass es sich dabei nicht wie bei den anderen Daten des Heiligenkalenders um den Todestag, sondern um den Geburtstag des Täufers handelt. Johannes wurde exakt sechs Monate vor Christus geboren. Jener erblickte das Licht der Welt an einem der längsten, dieser an einem der kürzesten Tage des Jahres. So sind die Geburten der beiden komplementär in den kosmischen Jahreslauf eingebunden, wenn man bedenkt, dass es sich um die beiden Sonnenwenden handelt, die Sommer- und die Wintersonnenwende.[9]
Dass Johannes der Evangelist, „der Jünger, den Christus liebhatte“, an einem 27. Dezember, also nur drei Tage nach der (traditionellen) Christgeburt, gestorben ist, scheint kein Zufall zu sein. Er war der einzige von allen Jüngern, der unter dem Kreuz stehen konnte. Er nahm im Auftrag Christi Maria „als Mutter“ zu sich (Joh. 19, 26 – 27), zog mit ihr nach Ephesus, wo der große Artemis-Tempel stand, und starb der Legende nach als einziger Jünger hochbetagt mit den Worten „Kindlein, liebet euch untereinander“ mit einer wunderbaren Lichterscheinung eines natürlichen Todes. Er ist der einzige Jünger, von dem es keine Reliquien gibt.
Das Haupt Johannes des Täufers, das Herodias, die Konkubine des Herodes, gefordert und nach dem „Tanz der sieben Schleier“ ihrer Tochter Salome bekommen hat, liegt noch heute in einem Schrein der Johannes-Basilika von Damaskus, die nach der Islamisierung Syriens unter den Umayyaden zwischen 708 und 715 n. Chr. in eine Moschee umgewandelt wurde.
Johannes dem Täufer sind vor allem Baptisterien, also Taufkirchen wie in Pisa oder Florenz, geweiht. Sankt Michael war ursprünglich eine Filialkirche von Sankt Johannes in Steinbach am Kocher. Diese Kirche, die dem Täufer geweiht ist, war wiederum abhängig von Sankt Nikolaus, der Kirche im nahe gelegenen Benediktinerkloster Groß-Comburg.
Johannes Brenz, der nicht nur in Schwäbisch Hall einen „Sinneswandel“ der Bevölkerung herbeiführte, sondern auch in ganz Baden Württemberg unter Herzog Christoph die Reformation einführte, erweist sich als guter Jünger des Täufers, der einst am Jordan mit dem Wort auftrat: „Ändert euren Sinn!“ (Meta Noiete).


Der Reformator wurde am 24. Juni 1499 in Weil der Stadt geboren, einer kleinen Reichsstadt, die damals knapp 1000 Einwohner zählte. In dieser Stadt wurde 72 Jahre später am Tag des Evangelisten Johannes ein anderer berühmter Träger dieses Namens geboren: der bedeutende Astronom und Astrologe Johannes Kepler (27.12, 1571 – 15. 11. 1630).
Johannes Brenz, der älteste Sohn des Weiler Bürgermeisters Martin Hess, ging mit 15 Jahren nach Heidelberg zum Studieren. Schon als Knabe pflegte er kurz nach Mitternacht aufzustehen und in der Wohnstube Bücher zu lesen. Nachdem er die Artistenfakultät durchlaufen hatte, wurde er Magister und unterrichtete daselbst. Nebenher studierte er Theologie und gab die Schriften des Aristoteles heraus. Johannes war ein „vir trilinguis“: er beherrschte die drei biblischen Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch. Einer der ersten "Dreisprachler" im 15. Jahrhundert war der bekannte Pforzheimer Humanist Johannes Reuchlin (1455 – 1522)[10], der von 1496 – 1498 ebenfalls in Heidelberg wirkte. Am 26. April 1518 lernte Johannes Brenz Martin Luther bei einer Disputation in Heidelberg persönlich kennen und blieb ein Leben lang mit ihm befreundet, genauso wie mit dessen Wittenberger Weggefährten Philipp Melanchthon (1497 – 1560) aus Bretten, einem Großneffen Reuchlins, der später den Ehrennamen  „Praeceptor Germaniae“ (Lehrer Deutschlands) erhielt.
1522 wurde Brenz an die Stadtkirche Sankt Michael in der reichen Salzstadt Schwäbisch Hall berufen, wo er Stadtpfarrer wurde. Zwei Jahre später bekam er „einen zweiten Johannes“ zum Kollegen: Johannes Isenmann (um 1495 – 1674), ein Freund, der ebenfalls in Heidelberg studiert hatte und wie Brenz den Ideen Martin Luthers gegenüber aufgeschlossen war. Zusammen mit Michael Gräter, der Pfarrer an der Kirche Sankt Katharina in der Haller Katharinen-Vorstadt wurde, führte er Schritt für Schritt und ohne Gewalt die Reformation in der reichen Stadt ein.
Ein wesentlicher Schritt dabei war die erste Feier des Abendmahls in beiderlei Gestalt, also mit Brot und Wein, welche die beiden Johannes,  Johannes Brenz und Johannes Isenmann, am Dreikönigsaltar in einer nördlichen Seitenkapelle Sankt Michaels am Weihnachtsabend des Jahres 1526 zelebrierten.
 Zum endgültigen Bruch mit der katholischen Kirche kam es, als Johannes Brenz im Jahre 1530 die Schwester seines Kollegen Michael Gräter und Witwe des Haller Ratsherrn Hans Wetzel, Margarete Gräter, heiratete, deren Epitaph gleich neben dem ihres Ehemannes hängt. Mit ihr hatte Brenz fünf Töchter und einen Sohn. An seinem 49. Geburtstag, am  24. Juni 1548, musste Brenz aus Schwäbisch Hall fliehen. Die Stadt war im Schmalkaldischen Krieg von den Truppen des streng katholischen Kaisers Karl V., der im Auftrag des Papstes Martin Luther und die Protestanten seit dem Reichstag zu Worms 1521 verfolgte, besetzt worden.
Später wurde Brenz, der 1530 auch am Reichstag zu Augsburg teilgenommen und zusammen mit Philipp Melanchthon das „Augsburger Bekenntnis“, die zentrale protestantische Bekenntnisschrift, verfasst hatte, unter Herzog Christoph von Württemberg herzoglicher Ratgeber und Stiftsprobst an der Stuttgarter Stiftskirche. In Stuttgart starb Johannes Brenz, „Luthers Mann in Süddeutschland“, am 11. September 1570.
Nach dem Tod seiner ersten Frau Margarete hatte er 1550 noch einmal geheiratet. Seine zweite Frau hieß wie seine Mutter Katharina und war wie seine erste Frau Margarete eine Nichte seines Haller Kollegen Johannes Isenmann.
Die Namen Margarete (Tag: 20. Juli) und Katharina (Tag: 25. November) sind also dem Haller Reformator wohl vertraut.
Namen waren damals immer mit den entsprechenden Heiligen oder Märtyrern verbunden. In der Regel erhielten Neugeborene die Namen des Tagesheiligen ihres Geburtstages. Das war auch bei Martin Luther der Fall, der an einem 10. November geboren und am darauffolgenden Tag, an Sankt Martin (11. November) getauft worden ist. Wegen der großen Kindersterblichkeit im ausgehenden Mittelalter war das üblich und blieb bis ins 20. Jahrhundert in katholischen Regionen Brauch. In evangelischen Gegenden wurden die Heiligen-Verehrung und der Marien-Kult nach der Reformation abgeschafft.

Die nächste Station unserer Kirchenbesichtigung  ist der Dreikönigsaltar, an dem Johannes Brenz und Johannes Isenmann am 24. Dezember 1526 zum ersten Mal in Schwäbisch Hall das lutherische Abendmahl gefeiert haben.
Auf dem Dreikönigsaltar, den der Würzburger Vikar Kilian Kempffennagel 1521 gestiftet hat, sind neben der Anbetung der heiligen drei Könige nach Matthäus die Jünger Johannes mit dem Kelch (links oben), Andreas mit dem X-förmigen Andreaskreuz (oben rechts), der Apostel Petrus (unten links) und Paulus (unten rechts) dargestellt. Zwischen Peter und Paul sind die drei Frankenapostel, die Iroschotten Kilian (in der Mitte) und rechts und links von ihm der Diakon Totnan und der Priester Colonat zu sehen. Alle drei folgten der strengen Regel des Columban.



Kilian (Tag: 8. Juli) kam im 7. Jahrhundert ins damalige Thüringen um die Heiden zu missionieren. Dabei machte er dem Herzog Gozbert den Vorwurf, dass er seine Schwägerin Geilana zur Konkubine genommen hatte. Diese rächte sich dann bitter an den drei christlichen Missionaren und ließ sie während des Gebetes in einer Kapelle enthaupten. Die Kapelle ließ sie niederreißen und an ihrer Stelle einen Pferdestall errichten. Die Pferde scheuten jedoch vor dem blutigen Boden. Schließlich entdeckte man die Leichname und errichtete über dem Grab das Neumünster, Würzburgs älteste Kirche.
Die Geschichte erinnert stark an die von Johannes dem Täufer, der seine Vorwürfe gegen den König Herodes, der das Bett mit seiner Schwägerin Herodias teilte, mit der Enthauptung büßte. Der Todestag Johannes des Täufers ist der 29. August. Er war in Irland ein hoher Feiertag, vergleichbar nur mit Karfreitag. Dem Vorläufer Christi galt die besondere Verehrung auf der grünen Insel.
Sankt Michael gehörte ursprünglich zum Bistum Würzburg. Am 10. Februar 1156 hatte der Bischof von Würzburg die Michaelskirche als Filialkirche der Johanneskirche von Steinbach geweiht. Die dem Täufer geweihte Kirche liegt auf einem Kalksinterfelsen über dem Kocher unmittelbar neben dem Umlaufberg, auf dem die ehemalige Benediktinerabtei Groß-Comburg wie eine Gralsburg in den Himmel ragt.

Vom Dreikönigsaltar begeben wir uns in das erste Turmgeschoss, in dem sich die romanische Magdalenen-Kapelle mit ihren wunderbaren Fresken befindet.
An der Westwand mit der Turmuhr stehen links und rechts des Fensters Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist mit ihren Attributen: der Täufer hat eine Scheibe mit dem Lamm, der Evangelist ein Buch in der Hand.


An der Nordwand sehen wir links des Fensters die Heilige Katharina mit dem Rad, rechts die Himmelfahrt Maria Magdalenas. An der Ostwand schließlich ist jene Osterszene abgebildet, in der Maria Magdalena am Ostermorgen dem Auferstandenen begegnet und ihn zunächst für den Gärtner hält. Als er sie bei seinem Namen ruft, erkennt sie ihn und will ihn berühren. Christus aber spricht: „Noli me tangere!“ (Berühre mich nicht!).[11]
Katharina gehört mit Barbara, der Patronin der Sterbenden und Margareta, der Patronin der Gebärenden zu den drei „virgines capitales“. Diese genossen im Mittelalter eine besondere Verehrung und so entstand der Spruch:
„Die Bärbel mit dem Turm, die Katrin mit dem Radl, die Margret mit dem Wurm: Das sind unsere heiligen drei Madl.“
Katharinas Rad kann als Rad des Lebens gedeutet werden.
Die Heilige Katharina von Alexandria war eine hochgebildete Jungfrau, die der Legende nach 50 Philosophen, die der römische Kaiser Maxentius kommen ließ, widerlegte und zum Christentum bekehrte.



Erstaunlich ist, dass in dieser Kapelle, die auch als Kaiserempore gedeutet wird, nicht nur die beiden Johannes, sondern auch zweimal Maria Magdalena (Tag: 22. Juli) dargestellt ist. Der Legende nach fuhr die „Apostola Apostolorum“ (Thomas von Aquin) an einem Ostersonntag, getragen von sechs Engeln, leiblich in den Himmel auf. Diese „Himmelfahrt“ ist in vielen Darstellungen überliefert, so zum Beispiel auch auf dem Magdalenen-Altar des See-Meisters in der Haller Johanniter-Kirche, in der seit 2008 die Sammlung „Alte Meister“ des Künzelsauer Unternehmers und Mäzens Reinhold Würth untergebracht ist. Dabei wird Magdalena, die 30 Jahre lang im Sainte-Baume-Gebirge in der Nähe der Stadt Aix-en-Provence als Einsiedlerin gelebt hat, am ganzen Körper behaart dargestellt. Diese starke Körperbehaarung geht offenbar auf einen genetischen Defekt zurück und ist auch bei einem anderen Heiligen zu beobachten, der auf der Rückseite des Dreikönigsaltars dargestellt ist: Es handelt sich um Onuphrius (Tag: 10. Juni), den der Welfenherzog Heinrich der Löwe besonders verehrt hat.
Der Leib der Maria Magdalena ruhte zuerst in der Kathedrale von Aix-en-Provence, wurde aber nach deren Zerstörung nach Vezelay gebracht, wo er bis heute verehrt wird.
Maria Magdalena ist aus den Evangelien bekannt als eine der Schwestern des Lazarus. Die andere Schwester ist Martha (Tag: 29. Juli).

Nun ist es Zeit, das Geheimnis des bartlosen Jünglings zu erhellen, der an der Westwand der Magdalenen-Kapelle dem Täufer gegenübersteht und mit dem Evangelisten Johannes identifiziert wird. Solche Gegenüberstellungen waren im Mittelalter häufig. Die berühmteste ist die Kreuzigungsszene aus dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, auf der der Evangelist links unter dem Kreuz, die das Bewusstsein verlierende Maria haltend, und der Täufer rechts unter dem Kreuz mit einem Lamm zu seinen Füßen und mit dem rechten Zeigefinger auf den Gekreuzigten zeigend, dargestellt sind.
Hier hilft eine genaue Lektüre der Evangelien weiter.
Bei Matthäus (19, 16 – 26), bei Markus (10, 17 – 27) und bei Lukas (18, 18 – 27) wird im Wesentlichen übereinstimmend die Begegnung Jesu mit einem Menschen erzählt, dessen Namen – anders als beim schon erwähnten „Nikodemus-Gespräch“ aus dem Johannes-Evangelium – an keiner Stelle genannt wird.
Johannes Hemleben weist im dritten Kapitel  seiner Johannesmonographie darauf hin, dass Matthäus den Mann an zwei Stellen „neaniskos“ nennt, das heißt „Jüngling“ (Math. 19, 20 und Math. 19, 22). Dieser Jüngling ist sehr reich und fragt Jesus, was er tun könne, um „das ewige Leben“ zu erlangen. Jesus verweist zuerst darauf, die Gebote einzuhalten und er zählt einige auf: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; ehre Vater und Mutter und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Math. 19, 18 – 19). Der Jüngling sagt, dass er diese alle gehalten habe. Darauf schlug Jesus dem Jüngling vor, seine Güter zu verkaufen und das Geld den Armen zu geben. Daraufhin heißt es: „Da der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt von ihm; denn er hatte viele Güter“ (Math. 19, 22). Nun folgt bei allen drei Synoptikern das berühmte Wort Jesu: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“ (Math. 19, 24).
In der Theologie ist man deshalb übereingekommen, dieser Erzählung den Titel „Der reiche Jüngling“ zu geben.
Lukas nennt den „reichen Jüngling“, der Jesus die Frage stellt, wer denn sein Nächster sei, einen „Nomikos“, einen Gesetzeskundigen oder Schriftgelehrten (Luk. 10, 25). Dann folgt bei Lukas als Antwort Jesu auf die Frage das Gleichnis vom „Barmherzigen Samariter“.
Nur Lukas erzählt im 16. Kapitel eine Geschichte, in der es um die Beziehung eines reichen Mannes zu einem armen Mann geht. Der arme Mann trägt den Namen „Lazarus“ (Luk. 16, 19 – 31).
Nur Markus ergänzt an einer Stelle den Bericht des Matthäus und fügt einen Satz ein, der auch nicht bei Lukas steht: „Und Jesus sah ihn an und liebte ihn.“ (Mar. 10, 21). Hemleben betont: „Hier, allein an dieser Stelle wird das Wort gebraucht, das sonst nur für die Beziehung Jesu zu Lazarus, zu seinen Schwestern Martha und Maria und zu dem Lieblingsjünger im Johannes-Evangelium verwandt wird: ‚den er lieb hatte‘“[12].
Es war, so sagt Hemleben, der Schweizer Theologe und Philosoph Johannes Kreyenbühl, der im ersten Band seines zweibändigen Werkes über das Johannesevangelium mit dem Titel „Das Evangelium der Wahrheit – Neue Lösung der Johanneischen Frage“ zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen Lazarus und Johannes dem Evangelisten herstellt. Das Buch wurde im Jahr 1900 veröffentlicht. Aber Hemleben fährt fort: „Erst Rudolf Steiners Kapitel über das Lazarus-Wunder in seinem 1902 erschienenen Buch „Das Christentum als mystische Tatsache“ bringt die Lösung.“
Steiner weist im Zusammenhang mit den Initiationsriten in den antiken Mysterien darauf hin, dass die „Erweckung“ des Lazarus in Wirklichkeit eine Einweihung war, die der Christus selbst als Hierophant an dem Neophyten Lazarus, der drei Tage in einem todesähnlichen Schlaf im Grabe lag, vollzogen habe. Es war die Antwort auf die Frage des „reichen Jünglings“, den Hemleben mit Lazarus identifiziert, nach dem „ewigen Leben“. Da diese Einweihung öffentlich und nicht, wie üblich, im „Verborgenen“ geschehen war, galt sie den Juden als „Mysterienverrat“. Das sei laut Steiner der wahre Grund dafür gewesen, dass sie beschlossen, Jesus zu töten. So heißt es unmittelbar nach der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus, die nur Johannes im 11. Kapitel seines Evangeliums bringt, folgerichtig: „Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten.“ (Joh. 11, 53).
Nach der Einweihung in Bethanien bekam Lazarus nach den Erkenntnissen Rudolf Steiners den Namen des Jüngers, den der Herr lieb hatte: Johannes (= „Gott ist gnädig“).




[1] Die Ölberg-Gruppe findet sich an vielen Kirchen, meistens außen, manchmal auch innen. Eigentlich handelt es sich um die Szene im Hof beziehungsweise Garten Gethsemane, die bei Matthäus im 26. Kapitel (36 – 46), bei Markus im 14. Kapitel (§2 – 42) und bei  Lukas im 22. Kapitel (39 – 46) unmittelbar vor Jesu Gefangennahme geschildert wird. Nur bei Johannes fehlt diese Szene. (https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96lberggruppe)
[2] In Ephesus sollte Johannes einen Kelch leertrinken, in dem Wein mit Gift vermischt war. Vor ihm hatten andere Männer daraus getrunken und waren tot umgefallen. Johannes macht das Kreuzeszeichen über dem Kelch. Das Gift entweicht in Gestalt einer Schlange und Johannes trinkt den Kelch leer, ohne Schaden zu nehmen.
[3] „Die Eltern Marias, Anna und Joachim, werden zum ersten Mal um die Mitte des 2. Jahrhunderts in dem apokryphen Proto-Evangelium des Jakobus genannt. Seit dem 9. Jahrhundert wurde die Familie Mariens dann zur Heiligen Sippe erweitert durch die Legende von der dreimaligen Heirat Annas, die sogenannte Trinubiumslegende (…) Die Trinubiumslegende verbreitete sich im 12., besonders aber im 13. Jahrhundert durch eine historische Enzyklopädie des Dominikaners Vinzenz von Beauvais (gest. 1264) und im Anschluss daran durch die Legenda aurea. Die Sippendarstellungen erlebten ihre Blütezeit  vom 15. bis ins frühe 16. Jahrhundert, dank einer Annenvision der hl. Colette (1380 – 1447). Sie wurden seltener, als das Konzil von Trient die Trinubiumslegende gegen Mitte des 16. Jahrhunderts verbot.“ Wolfgang Deutsch, „Die Denkmale der Michaelskirche einst und jetzt“ in „Sankt Michael in Schwäbisch Hall“ Swiridoff-Verlag, Schwäbisch Hall 2006 (anlässlich des 850. Jubiläums der Stadt Hall), S. 135. Siehe auch: http://www.musicksmonument.com/Holy_Kinship_Maastricht/Die_heilige_Sippe.html
[4] Jakobus Minor war ein Apostel Christi und sorgte bisweilen für Verwirrung. Als die Pilger nach Santiago durch Toulouse in Südfrankreich kamen, gelangten sie in der dortigen Klosterkirche Saint Sernin, eine der großen Pilgerkirchen am Jakobsweg, an das Grab eines Jakobus. Es handelte sich aber nicht um den Zebedäus-Sohn, sondern um den Alphäus-Sohn. Aber bisweilen fragten sich die Pilger schon, welcher denn nun „der wahre Jakob“ sei. Die Redensart ist bis heute gebräuchlich.
[5] Beide haben ihren Tag am 28. Oktober. Judas Thaddäus war der Schreiber der letzten Epistel des Neuen Testamentes, des kurzen Judas-Briefes.
[6] Jakobus Major war der erste Apostel, der im Jahre 44 n. Chr. das Martyrium erlitt. Er wurde enthauptet. Sein Leichnam wurde in ein Boot gelegt, das vom Wind getrieben, bis nach Galizien an der Westküste Spaniens gelangte. Dort errichtete man über seinem Grab eine Kirche, die später zu dem berühmten Wallfahrtsort Santiago de Compostella wurde. Jakobus ist der Patron der Pilger und trägt als Attribut häufig eine Jakobsmuschel. Schwäbisch Hall hatte einst ebenfalls eine Jakobskirche (die Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters) und liegt deshalb an einem der süddeutschen Jakobswege, die heute noch (oder: wieder) benutzt werden.
[7] Bei all diesen Familienzusammenhängen muss zunächst unberücksichtigt bleiben, dass um die Zeitenwende nicht nur eine, sondern zwei „Heilige Familien“ existierten: die Familie, die am Anfang des Lukas-Evangeliums, und die Familie, die am Anfang des Matthäus-Evangeliums beschrieben wird. Auch hier waltet ein Geheimnis. Die Familie des Lukasknaben, zu dem die Hirten kommen, stammt aus Nazareth in Galiläa (Luk. 2, 4). Sie zieht wegen der Volkszählung unter Kaiser Augustus in die Stadt Bethlehem, wo sie wegen der Fülle der Menschen nur in einem Stall eine „Herberge“ findet, in dessen „Krippe“ das Neugeborene gelegt wird (Lukas 2, 7). Die Familie des Matthäusknaben, zu dem die „Magier“ kommen, wohnt in einem "Haus" in Bethlehem (Math., 2, 11). Sie muss wegen der Wut des Herodes nach Ägypten fliehen und zieht nach dem Tod des Monarchen nach Nazareth „ins galiläische Land“ um (Math. 2, 22). Auch differieren die Stammbäume der beiden Jesusknaben: Math. 1, 2 – 17 geht über 14 Glieder von Abraham bis König David, und dann über Salomon (mit einer Lücke von vier Königen) in 28 Generationen bis zu „Joseph, den Mann der Maria“. Lukas 3, 23 – 38 führt den Stammbaum in rückläufiger Richtung von Joseph über Nathan – nicht Salomon – zurück auf König David, den ersten gemeinsamen Vorfahren, und dann bis zu Adam, „der war Gottes“ (Luk. 3, 38).
[8] Dr. Armin Panter, Leiter des Hällisch-Fränkischen Museums in Schwäbisch Hall in „Orte der Reformation – Schwäbisch Hall“, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig, 2017, S. 49
[9] So kann man auch das Täufer-Wort verstehen, wenn er nach Johannes 3, 30 sagt: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“
[10] Johannes Reuchlin verkehrte gern in dem Heidelberger Humanisten-Kreis um Jakob Wimpheling. Er war mehrmals in Rom und Florenz, so zum Beispiel auch im Jahre 1498. Dort besuchte er die florentinischen Neuplatoniker Pico della Mirandula und Marsilio Ficino, die in einer Villa bei Florenz eine Art „Platonische Akademie“ gründeten.
[11] Weil Maria Magdalena die erste war, die dem „Auferstandenen“ begegnete, war sie bei den Gläubigen besonders beliebt. Die Auferstehung von den Toten ist ja das große Versprechen der christlichen Kirche aller Konfessionen. In Ellwangen an der Jagst wurde in den vergangenen Jahren (2012 – 2015) in einer mehrjährigen Grabung ein großer Friedhof auf dem Marktplatz südlich der Sankt-Vitus-Basilika ausgegraben. Inmitten dieses mittelalterlichen Gottesackers fand man die Fundamente einer romanischen Kirche, die der Heiligen Magdalena geweiht war. So wie die Verstorbenen der Urmutter der Heiligen Familie, Anna, im Tode nahe sein wollten, wie in Schwäbisch Hall durch die Friedhofskapelle belegt ist, so wollten die Ellwanger Christen der Frau nahe sein, die den Auferstandenen als erste gesehen hat.
[12] egapesen