Samstag, 27. August 2016

Die russische Malerin Marianne von Werefkin in Ascona

Im Museo Comunale d’Arte Moderna Ascona stoßen wir wieder auf eine alte Bekannte: Der ganze zweite Stock des Museums ist der russischen Künstlerin Marianne von Werefkin (1860 – 1938) gewidmet, die von 1918 bis zu ihrem Tode in Ascona lebte. Sie hat hier auch ihre letzte Ruhestätte gefunden. Sie war an der Gründung des städtischen Museums 1922 beteiligt, in dem heute ihre wunderbaren Bilder zu sehen sind.
Marianne von Werefkin war ab 1885 Schülerin des berühmten russischen Malers Ilja Repin, mit dem sie auch befreundet war. Damals lebte sie in Sankt Petersburg. Im Hause des Malers ist sie im Jahr 1892 auch dem russischen Philosophen und Liebhaber der „Sophia“ Wladimir Solowjow (1853 – 1900) begegnet. Damals begann, durch Ilja Repin vermittelt, auch die über dreißigjährige Freundschaft mit Alexej Jawlensky. Im November 1896 reist sie mit Jawlensky und einem anderen Künstler zum Studium nach München. Ein Jahr später stößt auch Wasily Kandinsky zu der Gruppe. In der Stadt an der Isar eröffnet die Adlige Marianne von Werefkin im Jahr 1900 einen Salon, in dem die russischen Künstler und Aristokraten, die in München leben oder dorthin kommen, aus- und eingehen. In den Jahren 1908 bis 1909 weilen die Künstlerpaare Werefkin-Jawlensky und Münter-Kandinsky im bayerischen Murnau. Es ist die Zeit, in der Werefkin zusammen mit ihren Freunden Jawlensky, Kandinsky und Münter die „Neue Künstlervereinigung München“ (NKVM) gründet Später verlassen sie die Künstlervereinigung wieder und bilden eine neue Künstlergruppe, die einen Almanach mit dem Titel „Der Blaue Reiter“ herausgibt, nach dem sie sich ab 1911 nennt.
Nicht erst seit der großen Kandinsky-Ausstellung des Lenbach-Hauses im Jahre 2008 begeistere ich mich für die Malerei der Künstlergruppe „Der blaue Reiter“, zu der auch Franz Marc und August Macke gehören. Meine Begeisterung geht auf eine Bildbetrachtung zurück, die wir Ende der Siebziger Jahre zusammen mit einem Freund und Dietrich Rapp, dem damaligen Herausgeber der anthroposophischen Zeitschrift „Die Drei“, anlässlich einer Paul Klee-Ausstellung in Stuttgart gemacht haben. Wir betrachteten gemeinsam das Paul-Klee-Bild „Gebirgsbildung“. Damals habe ich verstanden, was der Impuls der sogenannten „Abstrakten Malerei“, als dessen Begründer Wassily Kandinsky gilt, in Wirklichkeit war. Wassily Kandinsky lernte in seiner Münchener Zeit auch Rudolf Steiner kennen und würdigt ihn in seinem theoretischen Grundlagenwerk „Das Geistige in der Kunst“ als wesentlichen Inspirator seiner Kunst.
Ich sehe in der Gruppe dieser vorwiegend russischen Künstler die „Erstlinge“ des von Rudolf Steiner verkündeten neuen „Lichten Zeitalters“, das im Jahre 1900 begonnen hat. Sie hatten die Möglichkeit, die neuen geistigen Impulse aufzugreifen, die aus der übersinnlichen Welt in die Menschenseelen, die dafür offen waren, einströmten. König Ludwig II. und sein Kreis hatten diese Möglichkeit noch nicht und scheiterten tragisch an ihren „verfrühten“ Idealen.
Neben Murnau am Staffelsee ist Ascona am Lago Maggiore der zweite wichtige Ort, an dem sich Menschen trafen, die diese neue Zeit aufkommen spürten. Beides sind Orte an Alpenseen, die nördlich und südlich des Gebirges vom gleichen gigantischen Gletscher der letzten Eiszeit geschaffen wurden, die um das Jahr 8000 vor Christus mit dem Untergang des atlantischen Kontinents endete.

In beiden Orten gibt es ein „Russenhaus“. Von Rudolf Steiner wissen wir, dass besonders die russischen Seelen die Träger der neuen, der sechsten nachatlantischen Kulturepoche sein werden, die im New-Age-Jargon auch das „Wassermann-Zeitalter“  (Age of Aquarius) genannt wird, in der nach Rudolf Steiner das Geistselbst, das erste höhere Wesensglied des Menschen, ausgebildet werden soll. Dieses Zeitalter wird erst im dritten Jahrtausend beginnen, aber es wird schon jetzt von einzelnen Menschen und Menschengruppen „vorbereitet“. Und ich habe das starke Gefühl, dass zu diesen Menschen auch russische Persönlichkeiten wie Marianne von Werefkin, deren leuchtende Bilder wir in Ascona bewundern, gehören. Es ist, als ob in ihnen über den gemalten Bergen der goldene Himmel der alten Ikonen wiedererstrahlen würde. Das Gold war immer eine Farbe der Geistig- Himmlischen Welt. Die neue geistige Welt ist über den Bergen der Alpen aufgegangen, wie wir an diesen Bildern von Marianne von Werefkin, aber auch an jenem einzigartigen Bild von Alexej Jawlensky im Schlossmuseum Murnau sehen konnten, von dem ich leider keine Kunstkarte bekommen habe.
Curt Riess zitiert in seinem Buch „Ascona – Geschichte des seltsamsten Dorfes der Welt“ (Europa-Verlag, Zürich 2. Auflage 2014) den heute vergessenen Bonner Schriftsteller Wilhelm Schmidtbonn (1876 – 1952). Der Freund des Malers August Macke schreibt in den dreißiger Jahren über die „Invasionen“ in das um 1900 noch sehr bäuerliche Dorf Ascona Folgendes:
„Zuerst kamen die Vegetarier, die Grasfresser, die in weißen Hemden herumgingen und ihren Acker bebauten. Dann kamen die Gottsucher jeder Art. Die Astrologen, Gesundbeter, Buddhisten, die auch eine Erneuerung der Welt – aber von der Seele her – wollten. Wie die Urmönche die Wüste, suchten sie die Einsamkeit von See und Fels, um mit dem Rätsel des Daseins zu ringen. Dann kamen die Verherrlicher des Lebens: die Maler, Bildhauer, Dichter, Architekten – insbesondere solche, die anderswo ihr Leben nicht mehr fristen konnten. Unter dieser unermüdlichen Sonne trugen sie auch die bittersten Entbehrungen leichter. Zuletzt kamen die Millionäre.“ (S 18)
Murnau und Ascona, das sind für mich wie die zwei Seiten einer Medaille. An beiden Orten probierten Menschen neue Lebenswege oder neue künstlerische Wege aus. Das eine liegt nördlich, das andere südlich der Alpen. So ist natürlich auch das Licht an den beiden Orten ein ganz anderes. Während nördlich der Alpen, im „Blauen Land“, oft mystische Wolken „wabern“, scheint über dem Monte Verita immer die Sonne des Lichten Zeitalters.
Murnau mit der Insel Wörth, auf dem das älteste deutsche Gebet, das Wessobrunner Gebet aufgezeichnet wurde, erinnert mich noch an die atlantischen Zeiten. Auf den südlichen Inseln des Lago Maggiore, den beiden Brissago-Inseln, die wir leider nicht mehr besucht haben, blühen im berühmten Botanischen Garten die Blumen der nachatlantischen Zeit. Kein Wunder, wenn ich über der Haustür eines Hauses in der zentralen Straße von Ascona eine Kopie eines Bildes von Raphael sehe, auf dem Maria mit dem Jesus- und dem Johannesknaben zu sehen sind. Der südliche Maler der Madonnen kontrastierte mit dem gleichzeitigen nördlichen Dämonen-Meister Matthias Grünewald (Versuchung des Antonius im Isenheimer Altar, Colmar).

Marianne Werefkin gelangte im Süden zum Höhepunkt ihres expressionistischen Malstils, voller leuchtender Farben, während Wassili Kandinsky im Norden den abstrakten Malstil entwickelte und damit die Malerei von Grund auf revolutionierte. Malerei wurde bei ihm Musik und Tanz. Beide Malstile sind Ausdruck des Innersten der menschlichen Seele, auch wenn bei den Expressionisten noch Anklänge an die äußere Wirklichkeit bestehen, während bei den Abstrakten nur noch Formen und Farben aufeinandertreffen.

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