Mittwoch, 5. Oktober 2016

Durch Schwäbisch Hall mit Michael Klenk




Nero soll im Augenblick seines Todes ausgerufen haben: „Welch ein Künstler geht in mir verloren!“ Er hat sich nicht so sehr als Herrscher, sondern mehr als Dichter, Musiker und Schauspieler verstanden. Das hat den Spott und die Verachtung der Kreise, aus denen er stammte, auf sich gezogen. Er war ein „Außenseiter der Gesellschaft“. Das sind eigentlich Leute, die mir sympathisch sind.
Gestern (am 04.10.2016) durfte ich zusammen mit etwa 24 anderen Frauen und Männern zweieinhalb Stunden mit solch einem sympathischen „Außenseiter der Gesellschaft“ durch die Stadt Schwäbisch Hall wandeln und Plätze und Räume entdecken, die besonders mit diesem Menschen verbunden sind. Ich spreche vom Leiter der Haller Kunstakademie, Michael Klenk, der gestern Nachmittag in der Volkshochschulreihe „Haller zeigen ihre Stadt“ eine Führung anbot, die mehr über den Künstler, als über die Stadt „verriet“.
Michael Klenk ist nur ein Jahr älter als ich. Er ist 1951 in Solingen geboren, aber in Gaildorf, wo sein Vater eine Fabrik hatte, aufgewachsen. Weil er im dortigen Gymnasium zweimal „hängen geblieben“ ist, wechselte er an eine Haller Schule, wo er dann doch noch das Abitur „schaffte“. Sein Vater wollte, dass sein einziger Sohn Betriebswirtschaft lernte, Michael aber wollte von Anfang an Künstler werden. Während seines BWL-Studiums in Rosenheim hatte Michael, wie er erzählt, viel Zeit, zu lesen und Musik zu hören. Musik war schon früh neben der Kunst seine Leidenschaft. Er hatte eine Liste mit allen Musikstücken angefertigt, die er noch live hören wollte. Während dieses Studiums bewarb er sich fünf Mal an verschiedenen Kunstakademien. Erst mit seiner fünften Mappe wurde er in Karlsruhe aufgenommen.
Weil es vielen jungen Menschen, die Kunst studieren wollen, wie ihm ergeht – auch ich hatte mich einmal mit einer Mappe an der Stuttgarter Kunstakademie beworben und eine Absage bekommen – hat Michael Klenk im Jahre 1990 in Schwäbisch Hall eine Kunstakademie gegründet, in der junge Menschen innerhalb eines Jahres unter anderem auf professionelle Weise eine Mappe gestalten, mit der sie sich an einer Staatlichen Akademie bewerben können. Diese damals unterhalb der Katharinenkirche gegründete private Akademie wurde von der Stadt Schwäbisch Hall gefördert. Elf Jahre später, im Jahre 2001, entstand in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft die Kunsthalle Würth, ein Museum von überregionaler Bedeutung. Weil der Künzelsauer Unternehmer Reinhold Würth sein Museum in den nächsten fünf Jahren erweitern möchte, musste Michael Klenk vor drei Jahren umziehen. 
Seine Akademie hat nun als Unterkunft ein ehemaliges Mädchengymnasium am Haalplatz, in dem auch die Festspiele ihre Büros und Üb-Räume haben.
Michael Klenk war mit einem halben Lehrauftrag Kunsterzieher am Erasmus-Widmann-Gymnasium in Schwäbisch Hall. Dort war ich 2000 – 2001 sein Kollege. Seit drei Wochen ist er pensioniert, erzählt er. 2007 habe ich ihn im Kunstverein Ellwangen, dessen Mitglied ich damals war, wieder getroffen. Er war mit eigenen Arbeiten in der Ausstellung „Eigene Wege - neun Schoofs-Schüler", die von meinem verstorbenen Kollegen, dem Künstler und Kunsterzieher Peter Gut, kuratiert wurde, vertreten.
Michael Klenk beginnt seine Stadtführung vor dem Turm von Sankt Michael und preist die ca. siebenhundertjährige spätgotische Michaels-Statue aus den Jahren zwischen 1280 und 1320 als sein Lieblingskunstwerk der kunstreichen Stadt. Michael  erinnert daran, was sein Namenspatron schon alles gesehen haben mag: Menschen am Pranger und Aufmärsche der Nazis, aber auch unzählige Hochzeiten und natürlich die Spiele auf der Treppe.
Wir gehen anschließend durch die obere Herrengasse und halten vor dem ehemaligen Wohnhaus des Haller Rabbiners Berlinger. Sein Vater, so erzählt Michael, sei eines Tages als etwa elfjähriger Junge mit zwei Freunden an dem Haus vorbeigegangen und wurde von zwei SS-Männern aufgefordert, sich etwas aus dem Besitz des Verjagten auszusuchen. Er nahm einen wertvollen Füller mit, den er seinem Sohn Michael vererbte, der ihn heute noch besitzt, nachdem ihn die überlebenden Nachkommen des Rabbiners nicht mehr zurückhaben wollten. Schräg gegenüber dem Haus des Rabbiners liegt das Bethaus der jüdischen Gemeinde.
Die nächste Station ist Michaels Lieblingsplatz. Wir müssen viele Treppen zum sogenannten „Neubau“ hochsteigen und gelangen dann unmittelbar an der Südseite des gewaltigen mittelalterlichen Bauwerks auf den Platz, von dem wir einen der schönsten Blicke auf die Stadt genießen können. Wieder erzählt Michael eine Anekdote, die ihm sein Vater mitgeteilt hatte: er hatte sich, wieder begleitet von seinen Kumpels, unterhalb dieses Platzes, wo ein Schreiner seine Werkstatt hatte, in einen geöffneten neuen Sarg gelegt und ihn geschlossen. Die beiden Freunde taten es ihm gleich und einer wäre dabei fast in Ohnmacht gefallen.
Ich denke, wenn Michael so eine Szene erzählt, dann ist das nicht ohne Grund. Ich ahne, dass es einen karmischen Hintergrund hat, vermutlich eine Einweihungsszene in einem früheren Leben. Michael, dem in seinem Leben im Grunde alles geglückt ist, wovon er geträumt hat, ist mit seinem langen weißen Bart, seiner imposanten schlanken Gestalt und seinen wachen, gütigen Augen eine auffallende Erscheinung in dieser Stadt. Er erinnert mich immer an einen der biblischen Patriarchen. Er erzählt, dass er während seines Studiums zwei Jahre in Rom studiert hat und später sogar noch ein Stipendium der Deutschen Akademie Villa Massimo bekommen hat und in der römischen Casa Baldi wohnen durfte. Er versichert, dass ihn seine römische Zeit stark beeinflusst habe. 
Ich erfahre, dass er auch die Nero-Ausstellung in Trier besucht hat und vollkommen von der Präsentation begeistert war.
Wir steigen nun, vorbei am Hällisch-Fränkischen Museum und der wiedererrichteten Salzsiederhütte, hinab in die Kocherwiesen. Dabei erzählt Michael, dass Hall zwar im Mittelalter die fünftreichste Stadt des Reiches gewesen war, in den 50er Jahren aber zu einer kleinen, unbedeutenden Verwaltungsstadt herabgesunken ist. 1966 sei dann ein Ruck durch das verschlafene Provinz-Städtchen gegangen, als in der Kocheranlage der „Club Alpha“, das erste Jugendhaus Deutschlands, gegründet wurde. Einen der Mitgründer, Walter Müller (FDP), lerne ich als Teilnehmer der Gruppe kennen. Ich erzähle ihm, dass wir auch in Ellwangen eine Initiative für ein Jugendzentrum hatten, und dass wir als Initiatoren damals auch den Club Alpha besuchten, der dieses Jahr sein fünfzigjähriges Jubiläum feiert.
Nun gehen wir weiter zur „Unterwöhrd“, wo an diesem Dienstag mit dem Abbau des alten Globe-Theaters begonnen wurde. Es soll durch ein neues, wetterfestes Theater ersetzt werden. 
Über den „Roten Steg“ gelangen wir in die Katharinen-Vorstadt und steigen auf der gegenüberliegenden Kocherseite zur Kunsthalle Würth hinauf, die ein wahrer Segen für die Stadt ist. Michael zeigt uns die unmittelbar benachbarten Gebäude, in denen über zwanzig Jahre lang seine „Akademie der Künste“ untergebracht war. Ich habe sie vor ein paar Jahren auch schon besucht, als eine Freundin hier einen Malkurs belegte und an einer Gruppenausstellung teilnahm.
Schließlich zeigt uns Michael, der alle Teilnehmer persönlich kennt und die, welche nach Hause wollen, freundlich verabschiedet, noch sein „eigenes Reich“: die neue "Akademie der Künste" am Haal-Platz. Im Flur des schönen klassizistischen Gebäudes sehe ich das Plakat und ausgeschnittene Presseberichte zur großen Trierer Nero-Ausstellung und finde sogar noch einen Ausstellungs-Flyer in deutscher Sprache, der in den drei Trierer Museen bereits vergriffen war.

Dort hatte ich aus Versehen einen in niederländischer Sprache eingesteckt.
Nicht Politik war Neros große Leidenschaft, sondern Dichtung und Musik. Das war sein Verhängnis.

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