Nero soll im Augenblick seines
Todes ausgerufen haben: „Welch ein Künstler geht in mir verloren!“ Er hat sich
nicht so sehr als Herrscher, sondern mehr als Dichter, Musiker und Schauspieler
verstanden. Das hat den Spott und die Verachtung der Kreise, aus denen er
stammte, auf sich gezogen. Er war ein „Außenseiter der Gesellschaft“. Das sind
eigentlich Leute, die mir sympathisch sind.
Gestern (am 04.10.2016) durfte ich zusammen mit
etwa 24 anderen Frauen und Männern zweieinhalb Stunden mit solch einem
sympathischen „Außenseiter der Gesellschaft“ durch die Stadt Schwäbisch Hall
wandeln und Plätze und Räume entdecken, die besonders mit diesem Menschen
verbunden sind. Ich spreche vom Leiter der Haller Kunstakademie, Michael Klenk,
der gestern Nachmittag in der Volkshochschulreihe „Haller zeigen ihre Stadt“
eine Führung anbot, die mehr über den Künstler, als über die Stadt „verriet“.
Michael Klenk ist nur ein Jahr
älter als ich. Er ist 1951 in Solingen geboren, aber in Gaildorf, wo sein Vater eine
Fabrik hatte, aufgewachsen. Weil er im dortigen Gymnasium zweimal „hängen
geblieben“ ist, wechselte er an eine Haller Schule, wo er dann doch noch das
Abitur „schaffte“. Sein Vater wollte, dass sein einziger Sohn
Betriebswirtschaft lernte, Michael aber wollte von Anfang an Künstler werden. Während
seines BWL-Studiums in Rosenheim hatte Michael, wie er erzählt, viel Zeit, zu
lesen und Musik zu hören. Musik war schon früh neben der Kunst seine
Leidenschaft. Er hatte eine Liste mit allen Musikstücken angefertigt, die er
noch live hören wollte. Während dieses Studiums bewarb er sich fünf Mal an
verschiedenen Kunstakademien. Erst mit seiner fünften Mappe wurde er in
Karlsruhe aufgenommen.
Weil es vielen jungen Menschen,
die Kunst studieren wollen, wie ihm ergeht – auch ich hatte mich einmal mit
einer Mappe an der Stuttgarter Kunstakademie beworben und eine Absage bekommen –
hat Michael Klenk im Jahre 1990 in Schwäbisch Hall eine Kunstakademie
gegründet, in der junge Menschen innerhalb eines Jahres unter anderem auf professionelle
Weise eine Mappe gestalten, mit der sie sich an einer Staatlichen Akademie
bewerben können. Diese damals unterhalb der Katharinenkirche gegründete private
Akademie wurde von der Stadt Schwäbisch Hall gefördert. Elf Jahre später, im
Jahre 2001, entstand in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft die Kunsthalle Würth, ein Museum
von überregionaler Bedeutung. Weil der Künzelsauer Unternehmer Reinhold Würth sein Museum in
den nächsten fünf Jahren erweitern möchte, musste Michael Klenk vor drei Jahren umziehen.
(siehe Artikel in der Stuttgarter Zeitung vom 04.10.2016 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.schwaebisch-hall-wuerth-verstaerkt-kunst-engagement.7397f55f-3862-47b5-bc3a-37b6d961ebca.html)
Seine Akademie hat nun als Unterkunft ein ehemaliges Mädchengymnasium am
Haalplatz, in dem auch die Festspiele ihre Büros und Üb-Räume haben.
Michael Klenk war mit einem
halben Lehrauftrag Kunsterzieher am Erasmus-Widmann-Gymnasium in Schwäbisch
Hall. Dort war ich 2000 – 2001 sein Kollege. Seit drei Wochen ist er
pensioniert, erzählt er. 2007 habe ich ihn im Kunstverein Ellwangen, dessen
Mitglied ich damals war, wieder getroffen. Er war mit eigenen Arbeiten in der
Ausstellung „Eigene Wege - neun Schoofs-Schüler", die von meinem verstorbenen Kollegen, dem Künstler und Kunsterzieher Peter Gut, kuratiert wurde, vertreten.
Michael Klenk beginnt seine
Stadtführung vor dem Turm von Sankt Michael und preist die ca.
siebenhundertjährige spätgotische Michaels-Statue aus den
Jahren zwischen 1280 und 1320 als sein Lieblingskunstwerk der kunstreichen
Stadt. Michael erinnert daran, was sein Namenspatron
schon alles gesehen haben mag: Menschen am Pranger und Aufmärsche der Nazis, aber
auch unzählige Hochzeiten und natürlich die Spiele auf der Treppe.
Wir gehen anschließend durch die
obere Herrengasse und halten vor dem ehemaligen Wohnhaus des Haller Rabbiners
Berlinger. Sein Vater, so erzählt Michael, sei eines Tages als etwa elfjähriger
Junge mit zwei Freunden an dem Haus vorbeigegangen und wurde von zwei
SS-Männern aufgefordert, sich etwas aus dem Besitz des Verjagten auszusuchen.
Er nahm einen wertvollen Füller mit, den er seinem Sohn Michael vererbte, der
ihn heute noch besitzt, nachdem ihn die überlebenden Nachkommen des Rabbiners
nicht mehr zurückhaben wollten. Schräg gegenüber dem Haus des Rabbiners liegt
das Bethaus der jüdischen Gemeinde.
Die nächste Station ist Michaels
Lieblingsplatz. Wir müssen viele Treppen zum sogenannten „Neubau“ hochsteigen
und gelangen dann unmittelbar an der Südseite des gewaltigen mittelalterlichen
Bauwerks auf den Platz, von dem wir einen der schönsten Blicke auf die Stadt
genießen können. Wieder erzählt Michael eine Anekdote, die ihm sein Vater mitgeteilt
hatte: er hatte sich, wieder begleitet von seinen Kumpels, unterhalb dieses
Platzes, wo ein Schreiner seine Werkstatt hatte, in einen geöffneten neuen Sarg
gelegt und ihn geschlossen. Die beiden Freunde taten es ihm gleich und einer
wäre dabei fast in Ohnmacht gefallen.
Ich denke, wenn Michael so eine
Szene erzählt, dann ist das nicht ohne Grund. Ich ahne, dass es einen
karmischen Hintergrund hat, vermutlich eine Einweihungsszene in einem früheren
Leben. Michael, dem in seinem Leben im Grunde alles geglückt ist, wovon er
geträumt hat, ist mit seinem langen weißen Bart, seiner imposanten schlanken Gestalt
und seinen wachen, gütigen Augen eine auffallende Erscheinung in dieser Stadt. Er
erinnert mich immer an einen der biblischen Patriarchen. Er erzählt, dass er
während seines Studiums zwei Jahre in Rom studiert hat und später sogar noch
ein Stipendium der Deutschen Akademie Villa Massimo bekommen hat und in der römischen
Casa Baldi wohnen durfte. Er versichert, dass ihn seine römische Zeit stark
beeinflusst habe.
Ich erfahre, dass er auch die Nero-Ausstellung in Trier besucht
hat und vollkommen von der Präsentation begeistert war.
Wir steigen nun, vorbei am
Hällisch-Fränkischen Museum und der wiedererrichteten Salzsiederhütte, hinab in
die Kocherwiesen. Dabei erzählt Michael, dass Hall zwar im Mittelalter die
fünftreichste Stadt des Reiches gewesen war, in den 50er Jahren aber zu einer
kleinen, unbedeutenden Verwaltungsstadt herabgesunken ist. 1966 sei dann ein
Ruck durch das verschlafene Provinz-Städtchen gegangen, als in der Kocheranlage
der „Club Alpha“, das erste Jugendhaus Deutschlands, gegründet wurde. Einen der
Mitgründer, Walter Müller (FDP), lerne ich als Teilnehmer der Gruppe kennen. Ich
erzähle ihm, dass wir auch in Ellwangen eine Initiative für ein Jugendzentrum hatten,
und dass wir als Initiatoren damals auch den Club Alpha besuchten, der dieses Jahr
sein fünfzigjähriges Jubiläum feiert.
Nun gehen wir weiter zur „Unterwöhrd“,
wo an diesem Dienstag mit dem Abbau des alten Globe-Theaters begonnen wurde. Es
soll durch ein neues, wetterfestes Theater ersetzt werden.
Über den „Roten Steg“
gelangen wir in die Katharinen-Vorstadt und steigen auf der gegenüberliegenden Kocherseite
zur Kunsthalle Würth hinauf, die ein wahrer Segen für die Stadt ist. Michael zeigt
uns die unmittelbar benachbarten Gebäude, in denen über zwanzig Jahre lang seine
„Akademie der Künste“ untergebracht war. Ich habe sie vor ein paar Jahren auch schon besucht, als eine Freundin hier einen Malkurs belegte und an einer Gruppenausstellung
teilnahm.
Schließlich zeigt uns Michael, der
alle Teilnehmer persönlich kennt und die, welche nach Hause wollen, freundlich verabschiedet,
noch sein „eigenes Reich“: die neue "Akademie der Künste" am Haal-Platz. Im Flur des schönen klassizistischen Gebäudes
sehe ich das Plakat und ausgeschnittene Presseberichte zur großen Trierer Nero-Ausstellung
und finde sogar noch einen Ausstellungs-Flyer in deutscher Sprache, der in den drei
Trierer Museen bereits vergriffen war.
Dort hatte ich aus Versehen einen
in niederländischer Sprache eingesteckt.
Nicht Politik war Neros große Leidenschaft, sondern Dichtung und Musik. Das war sein Verhängnis.
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