Bei schönstem Herbstwetter bin ich
durch das Hohenloher Land von der Kocherstadt Schwäbisch Hall nach Langenburg über
der Jagst gereist, wo gerade ein Herbstmarkt gehalten wurde. Ich komme trotz gesperrter
Straßen zur ehemaligen Hofapotheke und Hans- Jürgen Deck hilft mir, meine Powerpoint-Präsentation
in Fahrt zu bringen.
Ich hatte es tatsächlich noch geschafft,
die Bilder, die ich zeigen wollte, ganz ohne Text (wie zuvor) auf 40 Folien unterzubringen.
Später fügte ich noch einfache Überschriften hinzu. So war ich zufrieden, hatte
meinen roten Faden durch die Fülle des Stoffes, den ich mir vorgenommen hatte, und
konnte den Vortrag innerhalb einer Stunde halten.
Die etwa 14 Zuhörer des Sophianeums
– zum großen Teil Teilnehmer unserer letztwöchigen München-Fahrt – waren interessiert,
was ich aus den Fragen sah, die einzelne nach dem Vortrag stellten. Renate Deck,
die ebenfalls viel über Michael geforscht hat, sagte, dass auch sie manches „dazugelernt“
habe, was sie noch nicht wusste. Bevor sich die Decks mit den Geschwistern Scholl
und der Weißen Rose beschäftigten, waren sie im Jahre 1989 nach Italien zum Monte
San‘Angelo (Monte Gargano) gereist. In dem kleinen Vortragsraum lag auf einem runden
Tischchen der Band über das dortige Michaelsheiligtum von Adalbert Graf Keyserlingk,
den ich zwar schon lange kaufen will, aber noch nicht gefunden habe, ein ganz grundlegendes
Werk.
Bevor ich meinen Vortrag beginnen
kann, gehen wir in den alten Apothekenkeller und Hans-Jürgen kredenzt einen Gewürztrunk
und schneidet jedem eine Scheibe vom „Michaelsbrot“ aus Forchtenberg. Es ist wie
eine kleine kultische Handlung, die ich in einem Zusammenhang sehe mit der letzten
kultischen Handlung, die wir zum Abschluss der München-Fahrt am letzten Samstag
auf der Autobahnraststätte mit Wein und Brot vollzogen haben.
Dann versammeln wir uns im Vortragsraum
und ich beginne, nachdem Renate noch an Kaspar Hauser erinnerte, der an diesem Tag
Geburtstag hat, mit meinem Vortrag.
Ich spanne in meinem Vortrag „Der
Erzengel Michael in der Bildenden Kunst und in der Literatur“ einen großen Bogen:
Ich beginne mit der Schlacht in einer Ebene bei Neu Dehli, die vor 5000 Jahren stattgefunden
hat, und die in der Bhagavad Gita, dem heiligen Buch der Hindus, erzählt wird. Dem
Anführer des Heeres der Pandu erscheint Krishna, der in Wirklichkeit der Gott Vishnu
ist, und erklärt ihm, warum er kämpfen muss, obwohl in dem feindlichen Heere der
Kundus auch Verwandte und Freunde sind: Er würde ja im Kampf nur Leiber, nicht aber
Seelen töten können, denn die Seelen sind unsterblich.
Ich erwähne dann nur kurz den Kampf
zwischen den lichten und den dunklen Geistern, der bei den alten Persern in den
Schriften der „Avesta“ erzählt wird: Der Lichtgott Ormuzd und der finstere Ahriman
liegen ständig in Streit miteinander.
Etwas ausführlicher gehe ich auf den
Krieg um Troja ein, der vor ca. 3000 Jahren stattgefunden hat, und erzähle die Vorgeschichte:
die Hochzeit des Peleus mit Thetis[1]
auf dem Olymp, bei dem alle sechs Götterpaare versammelt sind. Wie im Märchen „Dornröschen“
tritt dann eine 13. böse Fee ein. Es ist Eris, die Zwietracht, die einen goldenen
Apfel zwischen die versammelten Götter wirft und ausruft: „Der Schönsten!“ Hera,
Athene und Aphrodite streiten sich, wem der Preis gebührt und sie beschließen, auf
die Erde zu gehen und einen Sterblichen entscheiden zu lassen. Sie erscheinen Paris,
dem jungen Königssohn von Troja, der auf dem Berg Ida die Herden des Vaters hütet.
Hera verspricht ihm Macht, Athene Weisheit und Aphrodite die schönste Frau.
Paris rüstet ein Schiff und reist
eines Tages über die Ägäis auf die Peloponnes, wo in der Königsburg der Stadt Sparta
die schönste Frau Griechenlands residiert. Leider ist sie schon verheiratet, und
zwar mit dem mächtigen König Menelaos.
Paris wird als Gast empfangen und
großzügig bewirtet. Als jedoch Menelaos aus irgendeinem Grunde verreisen muss, entführt
er Helena und nimmt sie zusammen mit Gold und Silber mit nach Troja. Als Menelaos
zurückkehrt und den Raub bemerkt, ruft er seine Verwandten zusammen, die ihm Beistand
geschworen hatten. Es sind so berühmte Könige wie Agamemnon von Mykene und Odysseus
von Ithaka. Ein riesiges Heer wird gerüstet und zieht an die Küste, um mit Schiffen
nach Kleinasien überzusetzen. Da bleiben die Winde aus und der Priester teilt Agamemnon
mit, dass die Göttin Artemis zürne, weil der König vor kurzem eine ihr geweihte
Hirschkuh erlegt hatte. Sie fordert als Sühne die Tochter Iphigenie. Agamemnon ist
um des geplanten Heereszuges willen bereit, seine Tochter zu opfern. Als sie bereits
auf dem Blutaltar liegt, wird sie jedoch entrückt und eine Hindin liegt an ihrer
Stelle. Nun können die Achaier übersetzen und der zehnjährige Krieg um Troja kann
beginnen.
Der blinde Sänger Homer schildert
die letzten 51 Tage dieses Krieges in den 24 Gesängen seiner Ilias. Dabei erzählt
er nicht nur, wie die Menschen auf Erden gegeneinander kämpfen – damals noch in
Zweikämpfen – sondern auch, wie sich die Götter, die den Kampf beobachten und kommentieren,
Partei ergreifen: Auf der Seite der Trojaner stehen Aphrodite, Apollon und Ares,
auf der Seite der Achaier Hera, Athene und Poseidon.
Ein besonderes Augenmerk ist auf Apollon
zu richten, dem griechischen Sonnengott, der bei Delphi den Drachen Python erlegt
hat. Über der Höhle, in der dieser hauste, sitzt später die Pythia, die Orakel-Priesterin,
die mithilfe der aufsteigenden berauschenden Dämpfe die Zukunft voraussagen kann.
Alle großen Herrscher der damaligen antiken Welt holten sich vor großen Entscheidungen
bei ihr Rat. Apollon tötet mit seinen „weithintreffenden“ Pfeilen.
Besondere Aufmerksamkeit verlangen
auch die beiden Göttinnen Aphrodite und Athene: Die schaumgeborene Liebesgöttin
steht für die menschlichen Gefühle und für den Eros, die in voller Rüstung dem Kopf
des Zeus „entsprungene“ Athene ist die Göttin der Weisheit und die Schutzherrin
Athens. Wir können aber nicht nur darin eine erste Polarität entdecken, sondern
auch in der Tatsache, dass im Krieg um Troja zwei unterschiedliche Kulturen miteinander
kämpfen: die alte asiatische Kultur und die neue europäischen Kultur. Dabei
siegt das Neue in der Gestalt des listigen Odysseus schließlich über das Alte, der
menschliche Verstand über die atavistische Sehergabe.
Damit habe ich den ersten Teil meines
Vortrages abgeschlossen, in dem ich mich auf die antike Literatur bezog. Es folgt
der zweite Teil, den ich anhand von Abbildungen aus der Kunst entwickle. In einem
ersten Schritt gehe ich auf die wichtigsten Michaelserscheinungen im christlichen
Abendland ein.
Im Jahre 490 nach Christus hütet der
Hirte Gargano seine Herde an einem Berg, der auf dem nach Osten zeigenden Sporn
des Stiefels gelegen ist, den die Apennin-Halbinsel bildet. Plötzlich ist ein prächtiger
Stier verschwunden. Er findet ihn schließlich in einer Grotte und schießt einen
Pfeil auf ihn. Statt den störrischen Stier zu treffen, kehrt der Pfeil jedoch wie
ein Bumerang zurück und verwundet Gargano. Dieser eilt zum Bischof, um ihm die Geschichte
zu erzählen. Der ordnet ein dreitägiges Fasten an. Am Ende erscheint ihm der Erzengel
Michael und „befiehlt“ dem Bischof, ihm in der Grotte, in der sich der Stier versteckt
hat, ein Heiligtum zu errichten.
Diese erste Erscheinung des Erzengels
in Italien soll am 8. Mai 490 stattgefunden haben.
Seitdem ist der 8. Mai ein Michaelstag.
Es war aber nur die erste von insgesamt vier Erscheinungen des Erzengels an diesem
besonderen Ort: Am 29. September 493 wollte der Bischof mit seiner Gemeinde den
dritten Jahrestag der ersten Erscheinung vor der nunmehr dem Michael geweihten Grotte
feiern, als sich der Erzengel dem Bischof wieder in einer Vision offenbart. Der
Bischof hatte gezögert, die Grotte ohne die Einwilligung des Papstes zu weihen,
und wollte deswegen Gesandte nach Rom schicken. Nun erfuhr er von dem Erzengel,
dass er selbst die Grotte bereits geweiht habe und dass er getrost mit seiner Gemeinde
eintreten könne.[2]
Antependium, Barcelona, Nationalmuseum
Zu dieser Geschichte zeige ich eine
Darstellung Michaels mit dem Stier von einem katalanischen Antependium aus dem zweiten
Viertel des 13. Jahrhunderts, das im Nationalmuseum von Barcelona zu sehen ist.
Monte San'Angelo, Gargano, Grotte
Nun fällt an der Darstellung zweierlei
auf: erstens ist Michael mit einem Bogen dargestellt, als würde er selbst den Pfeil
auf den Stier abschießen. Diese Darstellung erinnert an Apollon, dessen Bogen später
zu einer Lyra wurde. Zweitens erinnert der Stier an den Mithras-Kult, der zur Zeit
von Christi Geburt sehr populär unter den römischen Soldaten war. Nicht sehr weit
von Langenburg hat man in dem ehemaligen Römerkastell Osterburken am Limes solch
ein Mithras-Heiligtum gefunden. Das „Altarbild“ des Gottes, der mit einem Dolch
den wilden Stier in den Hals sticht, während ihn ein Skorpion in die Hoden sticht,
ist eine der umfassendsten der vielen Mithras-Darstellungen, die man heute noch
bewundern kann, weil sie von den zwölf Tierkreisbildern umgeben ist. Eine originalgetreue
Kopie des Osterburkener Reliefs kann man im Limesmuseum in Aalen sehen, das Original
im Badischen Landesmuseum Karlsruhe.
Die Mithrasmysterien[3]
fanden meistens in einer dunklen Grotte statt, deren Decke nach oben geöffnet war.
Durch sie floss das Blut eines geopferten Stieres auf den wie im Todesschlaf in
der Grotte liegenden Neophyten. Die Einweihung bestand aus sieben Stufen: corax
(Rabe), nymphus (Bräutigam), miles (Soldat), leo (Löwe), perses (Perser), heliodromus
(Sonnenläufer) und pater (Vater).[4]
Die nächste Michaels-Erscheinung fand im Jahre 590
in Rom statt. In der Stadt wütete die Pest. Papst Gregor der Große
ordnete eine Bittprozession an. Da erschien über dem Mausoleum des Kaisers Hadrian[5]
der Erzengel, der sein blutiges Schwert abwischte und in die Scheide steckte. Die
Pest war zu Ende. Zu Ehren des Erzengels benannte der Papst das heidnische Mausoleum
in „Castello Sant’Angelo“ (Engelsburg) um
und ließ daneben eine dem Michael geweihte Kirche errichten.
Von Rom wandert unser
Blick in die Normandie. Im Jahre 708 erscheint Aubert, dem Bischof von Avranches,
der Erzengel und bittet ihn, ihm auf der Felseninsel vor der Küste ein Heiligtum
zu errichten. So entsteht der großartige Klosterkomplex vom Mont-Saint-Michel, der
heute eine viel besuchte Touristenattraktion ist.
Am 10. August (Laurentius-Tag)
955 greift der Erzengel Michael in eine Schlacht ein, die auf dem Lechfeld bei Augsburg
zwischen dem aus Rittern von allen deutschen Stämmen bestehendem Heer Ottos des
Großen und einer ungarischen Armee, die in regelmäßigen Abständen in das ostfränkische
Reich einfiel, ausgetragen wurde. Die Szene hat zum Beispiel der Barockmaler Franz
Martin Kuen an der Decke der Pfarrkirche Sankt Ulrich in Eresing (Landkreis Landsberg
am Lech) dargestellt.
Seit 955 gilt der Erzengel
Michael als der Schutzheilige der Deutschen, was auch noch in dem etwas despektierlichen
Ausdruck „Der deutsche Michel“ angedeutet wird.
Im Jahre 1425 erscheint
einem 13jährigen Hirtenmädchen in einem Eichenwäldchen bei dem Dörfchen Donremy
an der Maas[6]
der Erzengel Michael, umgeben von der Heiligen Katharina und der Heiligen Margarete,
und fordert sie auf, nach Chinon zu ziehen, um dem dorthin exilierten Thronfolger,
dem Dauphin, zu helfen, die Engländer, die
zwei Drittel Frankreichs besetzt haben, aus dem Land zu jagen und ihn als Karl VII.
in Reims krönen zu lassen. Der Jungfrau Jehanne gelingt das Unternehmen, sie selbst
wird jedoch mit 18 Jahren am 30. Mai 1431 in Rouen als Hexe verbrannt. Später wird
sie in einem umfassenden Prozess rehabilitiert und Jeanne d’Arc gilt heute als Nationalheldin
Frankreichs. Dabei hat sie nicht nur Frankreich, sondern auch England geholfen,
die ersten wirklichen Nationen des europäischen Kontinents zu werden.
Die beiden zuletzt berichteten
Michaelserscheinungen zeigen, dass der Erzengel massiv in die europäische Geschichte
eingegriffen hat.
Ich komme nun zum dritten Kapitel
meines Vortrages und zeige Fotos von einigen bedeutenden Michaelskirchen in Deutschland.
Zunächst stelle ich drei bedeutende
deutsche Städte vor, deren zentrale Kirchen dem Erzengel geweiht sind: in Hamburg
ist es die barocke Stadtkirche Sankt Michaelis, in Hildesheim der romanische Dom
und in der reichen Salzstadt Hall die imposant über der berühmten Treppe am Kocherabhang
aufragende gotische Stadtkirche.
Sankt Michaelis, Hamburg
Sankt Michael, Hildesheim
Es ist auffallend, dass am Kocher
und seinen Nebenflüssen Michaelskirchen oder Orte, die schon im Namen einen Bezug
zu Michael haben, recht häufig zu finden sind. Ich erwähne die Kirche in Sulzbach/Laufen,
die Kirche in Hausen bei Oberrot, die Michaelskapelle auf der großen Comburg, die
Orte Michelbach an der Bilz und Michelfeld, die Michaelskapelle im Schloss Waldenburg
und die Stadtkirche von Forchtenberg, in der die Geschwister Scholl in den 20erJahren
zum Gottesdienst gingen. Diese Konzentration von Michaelsorten am Kocher scheint
ihren Kristallisationspunkt in Sankt Michael zu Schwäbisch Hall zu haben, in der
es 15 verschiedene Darstellungen des Erzengels gibt.
Sankt Michael, Schwäbisch Hall
Ich zeige nun eine Abbildung des Schreins
aus dem Michael-Altar in der Sakristei von Hans Beulscher, der um das Jahr 1520
entstanden ist. Er zeigt den in Gold gerüsteten Erzengel mit roten Schuhen an den
Füßen und einem Schwert in der Hand, das er über seinem Kopf schwingt.
Hans Beulscher, Sankt Michael, Sakristei, Mittelschrein,
Das Schwert ist das erste der drei
Attribute, die dem Erzengel in den Darstellungen durch die Künstler in der Regel
beigegeben wurden. Es weist auf die Vertreibung aus dem Paradies hin. Nach den zahlreichen
alttestamentlichen Apokryphen, war es Michael, der Adam und Eva nach dem Sündenfall
aus dem Garten Eden jagte. Ich zeige zwei Darstellungen dieser Szene, einen spätmittelalterlichen
Holzschnitt und die Szene aus der Decke der Sixtinischen Kapelle, in der Michelangelo
den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies kombiniert hat.
Vertreibung aus dem Paradies, Mitelalterlicher Holzschnitt
Michelangelo, Sixtinische Kapelle
Das zweite Attribut Michaels ist die
Waage. Der Michaelstag fällt nicht zufällig in die Zeit, in der die Sonne im Tierkreisbild
der Waage aufgeht (oder besser: vor 2000 Jahren aufging). Astrologisch beginnt die
Waagezeit am 22. September (Geburtstag von Hans Scholl) und dauert bis zum 20. Oktober.
Am Tag der Herbst-und-Nacht-Taggleiche ist der Herbstbeginn: die Tage beginnen wider
kürzer als die Nächte zu werden, die Finsternis siegt über das Licht und die Kälte
über die Wärme. Genau an dieser Scheide zwischen Licht und Finsternis scheint Michael
zu wachen und dem Menschen zu helfen, auch in der dunklen Jahreshälfte sein Gleichgewicht
zu halten.
Rogier van der Weyden, Sankt Michael aus dem Weltgericht, Beaune, Hotel-Dieu
Die Waage deutet aber auch auf das
Weltgericht am „Jüngsten Tag“ hin, wo Michael als der Herr des Karma im Auftrag
von Christus „die Worte und Taten“ der Menschen abwiegt, die ihnen „nachgefolgt“
sind.
Michael hat also eine wichtige Funktion
sowohl beim Beginn als auch beim Ende der Menschheitsgeschichte. Aber nicht nur
die Menschheit als Gesamte betrifft dies, sondern jeden Einzelmenschen: durch die
Geburt wird er aus dem Paradies entlassen und muss auf der Erde leiden, arbeiten
und lernen, im Tode steht er seinem höchsten Richter gegenüber und muss ihm zeigen,
was er gelitten, für andere gearbeitet und gelernt hat.
Justitia (Gerechtigkeit), Statue auf dem Röerplatz, Frankfurt
In einer Darstellung auf dem um 1180
entstandenen romanischen Wandteppich aus dem Dom zu Halberstadt steht Michael links
neben dem Christus und der Erzengel Gabriel rechts (vom Betrachter aus gesehen).
Gabriel spielt eine wichtige Rolle bei der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche, die am
21. März die aufsteigende Sonnenbahn bezeichnet, wenn das Licht wieder über die
Dunkelheit siegt. Auf den 25. März fällt der Tag „Mariä Verkündigung“, bei dem der
Erzengel Gabriel bei Maria erschien und ihr die Empfängnis eines Sohnes ankündigt,
der dann genau neun Monate später, in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember geboren
wird. Hans Sterneder, der große Astrologe des 20. Jahrhunderts, nennt die Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche
die „Pforte der Geburt“ und die Herbst-Tag-und-Nachtgleiche die „Pforte des Todes“.
Halberstadt, Dom, Wandteppich
In einem romanischen Doppel-Relief
an der Westfassade der Kirche San Pietro fuori le Mura in Spoleto (Umbrien) sieht
man Michael als Seelenwäger eines reuigen und eines nicht reuigen Sünders. Der eine
darf zu Petrus ins Paradies eingehen, auch wenn der Teufel sich beklagt und, zu
Petrus gerichtet, meint: „DOLEO Q(VIA) AN(TE) E(RAT) MEUS“ (Ich ärgere mich, denn
vorher war er mein). Hier übernimmt Michael eine Rolle des antiken Gottes Hermes
(Merkur) und wird zum Psychopompos, der den Verstorbenen ins Reich des Todes begleitet.
San Pietro fouri le mura, Spoleto
Das dritte Attribut Michaels ist die
Lanze, mit der er den Drachen in Schach hält, aber nicht tötet. Dazu passt wieder
eine Darstellung aus dem Antependium von Barcelona, die besonders eindrucksvoll
ist.
Schwäbisch Hall, Sankt Michael, Turmhalle
Antependium, Barcelona, Nationalmuseum
Die Lanze spielt auch beim sogenannten
„Engelssturz“ eine wichtige Rolle, wie wir auf einem Holzschnitt Albrecht Dürers
aus dem großen Apokalypse-Zyklus sehen können. Hier wird nicht nur ein, sondern
mehrere Teufel aus dem Himmel „geworfen“. Die Teufel waren ja alle einmal Engel,
aber da sie sich mehrmals gegen den Herrn erhoben und rebellierten, wurden sie auf
die Erde verbannt, wo sie nun als Teufel die Menschen versuchen dürfen.
Albrecht Dürer, Engelssturz aus dem Apokalypse-Zyklus
Diesen Teil meines Vortrages schließe
ich mit der Projektion dreier berühmter Weltgerichtsdarstellungen aus dem 15. Jahrhundert
ab: Im Jahr 1450 hat der Maler Rogier van der Weyden für das mittelalterliche Krankenhaus
„Hotel-Dieu“ im burgundischen Beaune eine mehrteilige Tafel geschaffen, die Christus
auf dem Thron in der Mitte, den Erzengel Michael mit der Waage darunter, rechts
von ihm die Erlösten, die zum Paradies hinziehen und links von ihm die Verdammten,
die in den Höllenrachen gezogen werden, zeigt. Ähnlich hat etwa 20 Jahre später
Hans Memling das Weltgericht dargestellt, nur noch größer und detailreicher.
Rogier van der Weyden, Weltgericht, Beaune, Hotel-Dieu
Hans Memling, Weltgericht, Danzig, Nationalmuseum
Als drittes Beispiel zeige ich die
Weltgerichtsdarstellung von Michelangelo an der Westwand der Sixtinischen Kapelle.
Vergeblich sucht man auf ihr Michael. Nach langem Überlegen vermute ich, dass sich
der Erzengel im Namen des Künstlers, der das Werk geschaffen hat, selbst offenbart
hat.
Michelangelo, Weltgericht, Vatikan, Sixtinische Kapelle
Als Übergang zum fünften Kapitel meines Vortrages zeige ich eine
Abbildung des sechsten Siegels, das Rudolf Steiner in dem Münchner Saal, in dem
1907 der vierte Theosophische Kongress stattfand, zusammen mit weiteren sechs Siegeln
an die Vorhänge der Wände gehängt hatte. Es zeigt Michael, der den Drachen wie einen
Hund an der Kette führt.
Maria Rettich, das sechste Siegel nach einem Entwurf von Rudolf Steiner
Nun komme ich zum Zentrum meines Vortrages.
Das fünfte Kapitel ist überschrieben „Das Wendejahr 1917“
Ich zitiere eine Aussage, die Rudolf
Steiner am 21. November 1919 in dem Zyklus „Die Sendung Michaels“ (GA 194) gemacht
hat: Dort erzählt er, dass Schriftsteller wie John Milton in seinem Epos „Das verlorene
Paradies“ oder Klopstock in seinem „Messias“ das Göttliche mit dem Luziferischen
verwechseln würden. Seit der „Abschaffung des Geistes“ im Zweiten ökumenischen Konzil
von Konstantinopel im Jahre 869 bestünde der Mensch laut Kirchendogma nur noch aus
zwei Gliedern, aus Körper und Seele. Der Geist sei nur noch eine Eigenschaft der
Seele. Damals begann, wie Rudolf Steiner erläutert, der „Irrwahn der Zweiheit“.
Auch die geistige Welt wird zweigeteilt. Es gebe den „Himmel“ für die Guten und
die „Hölle“ für die Bösen. Rudolf Steiner führt aus:
„Es nützt nichts, wenn Milton oder
Klopstock die Wesen des Himmels als göttliche Wesen bezeichnen. Göttliche Wesen,
wie sie der Mensch empfinden soll, wären sie nur, wenn zugrunde läge die dreigliedrige
Struktur des Weltendaseins. Dann würde man sagen können: Da findet ein Kampf statt
zwischen dem guten Prinzip und dem bösen Prinzip.
So aber, wie die Sache liegt, wird
eine Zweiheit angenommen, dem einen Glied dieser Zweiheit das Gute beigelegt, Namen
gefunden, die den Wesen beigelegt werden, die eigentlich vom Göttlichen hergenommen
sind, und auf die andere Seite das teuflische, das antigöttliche Element gestellt.
Was ist damit eigentlich in Wirklichkeit getan? Damit ist in Wirklichkeit nichts
Geringeres getan, als dass das wirklich Göttliche aus dem Bewusstsein herausgerückt
ist, und dass das Luziferische mit dem göttlichen Namen belegt wird, dass wir in
Wahrheit vorliegen haben einen Kampf zwischen Luzifer und Ahriman, und dass nur
dem Ahriman luziferische Eigenschaften beigelegt werden, und dem Reiche des Luzifers
werden die göttlichen Eigenschaften beigelegt.“
Gustave Dore, Satan, Illustration von "Das Verlorene Paradies" von John Milton
Die Weltenkräfte Luzifer und Ahriman
sind Realitäten, mit denen jeder Mensch täglich zu tun hat: der eine wirkt mehr
im Blut, der andere mehr in den Nerven. Der eine möchte den Menschen zur Weltflucht
und zum Rausch verführen, der andere ihn an die Erde und an die Technik binden.
Wenn ein Mensch, der ein schönes und
schnelles Auto besitzt, auf der Autobahn fährt, kann er in den Rausch der Geschwindigkeit
geraten und sich dabei der PS-Kraft der Maschine bedienen. Ein Rennfahrer steht
immer zwischen den beiden Extremen: Er muss die Technik beherrschen und darf dem
Rausch der Geschwindigkeit nur bis zu einer gewissen Grenze nachgeben. Oder, um
ein anderes, alltägliches Beispiel zu nehmen: der Mensch, der in einem Supermarkt
einkauft, befriedigt dabei einerseits seine irdischen Bedürfnisse, wird aber gleichzeitig
durch das Überangebot verführt, mehr zu kaufen, als er eigentlich benötigt oder
vorhatte.
Der Mensch ist berufen, immer die
Mitte zwischen den beiden Weltkräften zu halten. Dabei braucht er als auf der Erde
inkarniertes Wesen beide. Was den Menschen aber als solchen ausmacht, ist die Fähigkeit,
ein gewisses Gleichgewicht zwischen diesen beiden Kräften herzustellen. Deshalb
führt Rudolf Steiner in dem bereits genannten Vortrag aus dem Zyklus „Die Sendung
Michaels“ aus:
„Wenn Sie die ganze Sache ins Auge
fassen, dann werden Sie sich sagen: Verstehen kann ich die Welt eigentlich nur,
wenn ich sie mit Bezug auf die Dreizahl ins Auge fasse. Denn wir haben auf der einen
Seite alles dasjenige, was luziferisch ist, auf der anderen Seite alles dasjenige,
was ahrimanisch ist, mitten hineingestellt den Menschen, der als ein Drittes, wie
im Gleichgewichtszustande zwischen beiden, sein Göttliches empfinden muss. Nur dadurch
kommt man mit dem Weltverständnis zurecht, dass man diese Dreiheit zugrunde legt,
dass man sich klar darüber ist: Es ist das menschliche Leben wie ein Waagebalken
(Rudolf Steiner zeichnet an die Tafel). Hier ist das Hypomochlion[7],
da eine Waagschale, das Luziferische, das aber in Wirklichkeit hinaufzieht. Auf
der anderen Seite das Ahrimanische, das in Wirklichkeit hinunterzieht. Den Waagebalken
im Gleichgewicht zu erhalten, das ist das Wesen des Menschen. (…) So dass wir sagen
dürfen: Wir haben es zu tun im Weltendasein mit dem Luziferischen, das die eine
Waagschale, dem Ahrimanischen, das die andere Waagschale darstellt, und dem Gleichgewichtszustande,
der uns darstellt den Christus-Impuls.“
Nun kann man die mittelalterlichen
Darstellungen vom Weltgericht besser verstehen: In der Mitte steht der Erzengel
Michael, das „Antlitz Gottes“, der im Auftrage Christi die Seelen wiegt. Rechts
und links von ihm erhält der Betrachter einen Blick in das Reich der ahrimanischen
Kräfte („Hölle“) und der luziferischen Kräfte („Himmel“).
Bei Hans Memling ist der Himmel durch
eine üppige Burg mit vielen Türmen symbolisiert. Hier kann man den mittelalterlichen
Wunsch nach Weltflucht in eine bessere Welt erkennen. Solche Burgen besaßen damals
nur die Fürsten und Könige.
Dass die beiden Wesen auch in der
menschlichen Seele wirken, hat Goethe erkannt, wenn er in der Szene „Osterspaziergang“
seinen Faust sprechen lässt:
„Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.“
Und nun beschwört Faust, ohne eigentlich
ein Bewusstsein davon zu haben, Luzifer und Ahriman:
„O gibt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd und Himmel herrschend weben,
So steiget nieder aus dem goldnen Duft
Und führt mich weg zu neuem, bunten Leben!“
Goethe vermischt, wie Rudolf Steiner
ausführt, in der Figur des Mephistopheles die beiden Weltenkräfte: einmal ist bei
ihm der Teufel eher ahrimanisch, wenn er zum Beispiel in Faust II. das Papiergeld
erfindet oder Faust hilft, aus dem trockengelegten Meer Land zu gewinnen und eine
ganze Industriekultur zu erschaffen, andererseits luziferisch, wenn er Faust den
Zaubertrank reicht, durch den er „Helenen in jedem Weibe“ erblickt.
Im Jahr 1917, als durch den Eintritt
Amerikas in den Weltkrieg und durch die Russische Revolution zwei „Blöcke“ entstehen,
die die Welt bis heute spalten, stellt Rudolf Steiner sein Buch „Von Seelenrätseln“
vor, in dem er aufzeigt, dass das Wesen des Menschen dreigegliedert ist. Im selben
Jahr entwickelt Rudolf Steiner auch die wirklichkeitsgemäße Anschauung von der „Dreigliederung
des sozialen Organismus“.
Vom 29. September (Tag des Erzengels
Michael) bis zum 28. Oktober 1917 (Tag der Apostel Judas Thaddäus und Simon Zelotes)
hält Rudolf Steiner in Dornach vierzehn grundlegende Vorträge, deren Mitschriften
später unter dem Titel „Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt – Der Sturz
der Geister der Finsternis“ als Band 1 in der Reihe „Geistige Wesen und ihre Wirkungen“
veröffentlicht wurden.
Entscheidend ist der zwölfte Vortrag
vom 26. Oktober 1917. Nachdem er bereits im vorangehenden elften Vortrag vom 21.
Oktober auf das Schlüsseljahr 1879 hingewiesen hat, führt er nun aus, welche grundlegende
Bedeutung dieses Jahr hat. Bereits der Abt Trithemius von Sponheim hatte auf dieses
Jahr hingewiesen, indem er 1879 die Regentschaft vom Erzengel Gabriel auf den Erzengel
Michael übergehen lässt. Nach Trithemius regiert etwa alle 350 Jahre ein anderer
der insgesamt sieben Erzengel als Zeitgeist die Menschen.[8]
Trithemius von Sponheim, Grabplatte von Tilman Riemenschneider, Würzburg
Wir haben schon gehört, dass der Erzengel
Gabriel an der „Pforte der Geburt“, der Erzengel Michael an der „Pforte des Todes“
steht. Gabriel regelt die Blutskräfte, Michael versucht den Menschen bereits im
Leben auf den Geist, oder anders ausgedrückt: auf Christus auszurichten, indem er
ihm schweigsam zuwinkt.
Michael ist der Erzengel der Freiheit.
Er will, dass der Mensch aus eigener Kraft zurück ins „Paradies“, aus dem er ihn
einst vertreiben musste, findet. Mit dem Paradies ist nichts anderes gemeint als
die „geistige Welt“ oder das „Reich Gottes“, das „nicht von dieser Welt“ ist. Aus
diesem Grunde ist die Anthroposophie entstanden, die als eine Art „Michaelsschule“
anzusehen ist.
In jenem zwölften Vortrag führt Rudolf
Steiner nun aus, dass im Herbst des Jahres 1879 der im „Himmel“ stattfindende Kampf
der rebellischen ahrimanisch-luziferischen Geister mit dem Sieg Michaels und dem
„Sturz der Geister der Finsternis“ auf die Erde geendet habe. Seitdem würden diese
Geister nicht mehr als Rebellen in der geistigen Welt wirken, sondern versuchen,
in den Seelen der auf der Erde verkörperten Menschen einen neuen Schauplatz und
ein neues Wirkungsfeld zu finden. Zuvor hatten dort die Geister des Lichtes gewirkt
und durch die Blutskräfte die sozialen Verhältnisse nach Sippen- Stammes- und Volkszugehörigkeit
geregelt, während die rebellischen „Engel“ dem Menschen die Freiheit schenken wollten
in einer Zeit, als er noch gar nicht reif dafür war.
Nun sei es umgekehrt: die Geister
der Finsternis, ahrimanische und luziferische Engel, wollen den Menschen an das
Blut und an den Boden binden, flüstern ihm ein, dass er nur ein „höheres Tier“[9]
sei und legen Wert auf Rasse und Nation, während Michael und seine Engel dem Menschen
die Freiheit schenken wollen, zu der er nun reif ist.
1895 wird Rudolf Steiners grundlegende
Schrift „Die Philosophie der Freiheit“ veröffentlicht.[10]
Hier wird das Wesen der Freiheit dargestellt. Es geht dabei nicht um die missverstandene
„Freiheit von etwas“, sondern um die wahre „Freiheit für etwas“ im Sinne Friedrich
Schillers: „Der Mensch ist frei geschaffen,
ist frei/ Und würd er in Ketten geboren“[11]
Rudolf Steiner erklärt am 26. Oktober
1917, warum rassistische und nationalistische Geisteshaltungen heute keine Berechtigung
mehr haben:
„Ein Mensch noch des 14. Jahrhunderts,
der gesprochen hat von dem Ideal der Rassen, von dem Ideal der Nationen, der hat
gesprochen aus den fortschreitenden Eigenschaften der menschlichen Entwicklung heraus;
ein Mensch, der heute von dem Ideal der Rassen und Nationen und Stammeszusammengehörigkeiten
spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen
sogenannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen,
so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den
Niedergang hineinbringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Blutsideale fortpflanzen.“[12]
Ich komme nun zum sechsten Kapitel
meines Vortrages und wende mich wieder der Literatur zu.
Als erste stelle ich zwei westliche
Autoren des 20. Jahrhunderts zwei östlichen gegenüber: Die britischen Krimiautoren
Sir Arthur Conan Doyle (1859 – 1930) und Dame Agatha Christie (1890 – 1976) zeigen
in ihren Kriminalromanen in populärer Form, wie „das Böse“ von menschlichen Seelen
Besitz ergreift und von intelligenten Detektiven wie Sherlock Holmes oder Hercule
Poirot enttarnt und überführt wird.
Sir Arthur Conan Doyle
Dame Agatha Christie
Der russische Autor Michael Bulgakow
(1891 – 1940) und der griechische Schriftsteller Nikos Kazantsakis (1883 – 1957)
adaptieren den Pakt mit dem Teufel aus der Faustsage in ihren Romanen „Der Meister
und Margarita“ (1928 – 1940, veröffentlicht 1966) und „Alexis Sorbas“ (1947)[13].
Michail Bulgakov
Nikos Kazantsakis
Während die Krimiautoren mehr die
Intelligenz der Detektive in den Mittelpunkt ihrer Erzählungen stellen, führen Bulgakow
und Kazantsakis in ihren Figuren Dr. Voland und Alexis Sorbas vitale und zugleich
verführerische Persönlichkeiten vor. Die westlichen Hauptfiguren der Romane bedienen
sich der menschlichen Kombinationsgabe, die ihnen Ahriman verleiht, die östlichen
Hauptfiguren der Verführungskraft Luzifers.
Im Einzelnen gehe ich auf die Romane
der vier Autoren nicht näher ein. Die ausführliche Besprechung wäre ein Thema für
einen besonderen Vortragsabend. Ich erwähne allerdings, dass Sherlock Holmes in der Regel einen einzigen Verbrecher
verfolgt, während in den Romanen Agatha Christies meist alle auftretenden Personen
mit dem Bösen im Bund sind, auch wenn man es anfangs nicht gleich merkt: In „Zehn
kleine Negerlein“ (1939) sind es zehn Schuldige, in „Tod auf dem Nil“ (1937) zwölf.
Bei Agatha Christie hat das Böse demnach in den Seelen jeder der handelnden Figuren
einen Platz gefunden.
Die Aussage Rudolf Steiners aus den
Vorträgen vom Herbst 1917 bestätigt sich hier, dass sich ahrimanisch-luziferische
„Geister der Finsternis“ seit 1879 in verstärktem Maße menschlicher Seelen bemächtigen,
die sich nicht bewusst dem Geiste zuwenden.[14]
Die ermittelnden Detektive sind dabei
in den Romanen Vertreter Michaels auf Erden, die die „Geister der Finsternis“ in
den menschlichen Seelen aufspüren.
Sir Arthur Conan Doyle war als Schüler
auf zwei Jesuitenschulen[15],
studierte von 1876 bis 1881 Medizin an der Universität Edinburgh und war seit 1887 Mitglied in einer britischen
Freimaurer-Loge. Er interessierte sich außerdem sehr für Mystik und Spiritismus.
Dame Agatha Christie ist am 15. September
1890 in der südenglischen Hafenstadt Torquay (Grafschaft Devon) geboren, wo sie
bis 1919 lebte und wo Rudolf Steiner im Sommer 1924 wichtige Vorträge gehalten hat[16].
Agatha Christie unternahm 1922 mit ihrem ersten Mann eine Weltreise und bereiste
nach der Scheidung 1928 den Orient als unabhängige Frau ganz allein. In Ur in Chaldäa
lernte sie den vierzehn Jahre jüngeren Archäologen Max Mallowan aus dem Team Leonard
Wooleys, des britischen Ausgräbers der antiken Geburtsstadt des Patriarchen Abraham,
kennen. Sie kannte den Orient-Express, Ägypten und Mesopotamien aus eigener Anschauung
und ließ viele ihrer insgesamt 66 Kriminalromane an solchen exotischen Schauplätzen
spielen. 1952 kam ihr Theaterstück „Die Mausefalle“ in London auf die Bühne und
wird dort bis heute täglich gespielt. Sie liebte die Bücher von Arthur Conan Doyle,
insbesondere seinen Roman „Der Hund von Baskerville“ aus dem Jahre 1902.
Diese Art von Literatur wird in England
nicht „Krimi“ genannt, sondern mit dem viel passenderen Begriff „Mystery“ bezeichnet.
Bei Agatha Christie kann man in der Tat von „Mysterien-Romanen“ sprechen, denn oft
kreisen um den Ermordeten zwölf Verdächtige, die irgendwie mit der Ermordung zu
tun haben. Dabei handelt es sich jedoch eher um „schwarze Mysterien“.[17]
Thomas Mann
Ich wende mich nun im siebten Kapitel
meines Vortrages zwei mitteleuropäischen Autoren zu: Thomas Mann (1875 – 1955) und
Hermann Hesse (1877 – 1962). Zusammen mit Bertolt Brecht bilden sie ein etwa gleichzeitig
lebendes und arbeitendes Dreigespann, das vor allem in den Jahren der Weimarer Republik
durch Schlüsselwerke eine gewisse Bekanntheit erwarb. Dabei steht der Dramatiker
Brecht (1898 – 1956)[18]
für den Willen, Thomas Mann, der Intellektuelle, für das Denken, und Hermann Hesse
für das Fühlen. Solche Dreiheiten kann man überall auffinden, wenn man einmal die
Biografien von gleichzeitig lebenden Künstlern studiert. Am auffälligsten ist es
bei dem Renaissance-Dreigestirn Michelangelo (Willen), Leonardo (Denken) und Raphael
(Fühlen).
Der 1924 veröffentlichte Epochenroman
„Der Zauberberg“ von Thomas Mann schildert den Aufenthalt des Hamburger Kaufmannsohnes
Hans Castorp in dem Sanatorium „Berghof“ im Städtchen Davos in den Schweizer Alpen.
Eigentlich wollte er dort nur seinen Vetter besuchen. Aus den drei ursprünglich
geplanten Wochen werden jedoch sieben Jahre. Der Roman spielt in den Jahren 1907
bis 1914. In dem Sanatorium lernt Castorf eine Gesellschaft von neun Personen näher
kennen, darunter zwei Männer, von denen jeder versucht, ihn auf seine Seite zu ziehen:
den Freimaurer Ludovico Settembrini, der an die Aufklärung und den Fortschritt glaubt,
eine eher luziferische Gestalt, und den konvertierten Juden und Jesuiten Naphta,
der nicht an die Demokratie, sondern an eine sozialistische Diktatur glaubt, einen
eher ahrimanischen Geist.
Der naive Hans Castorf beobachtet
die dem zwangsweisen Müßiggang hingegebenen Mitglieder der Sanatoriums-Gesellschaft,
aber ändert sich im Grunde nicht und schließt sich auch keiner Seite an. Am Ende
bricht mit einem „Donnerschlag“ der Erste Weltkrieg aus. Hans meldet sich freiwillig
und so verliert sich die Spur seines Schicksals sang- und klanglos. Vermutlich ist
er in den ersten Wochen des Krieges an der Westfront gefallen.
Hermann Hesse
Im Jahre 1925[19]
spielt der Roman „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse, der 1927 erschien und erst
in den 60er Jahren durch jugendliche Leser in den USA wiederentdeckt und bekannt
wurde. Hermann Hesse war schon ein bekannter deutscher Autor, als er seinen Roman
„Der Steppenwolf“ veröffentlichte, der einige Tage im 50. Lebensjahr des Schriftstellers
Harry Haller schildert[20],
der sich unter dem Einfluss der Edelprostituierten Hermine von einem theoretischen
Abstraktling, der sich vor dem Leben in seine Bücherwelt flüchtet, zum lebenslustigen
Lebemann wandelt, der die Genüsse der geschlechtlichen Liebe kennenlernt.
Schon in seiner Zeit vor der Begegnung
mit Hermine fühlte er sich oft gespalten und litt darunter. Er strebte nach den
höchsten Geisteshöhen, liebte die Musik von Beethoven und Mozart und die Literatur
von Goethe und Novalis und litt unendlich unter dem grassierenden Kulturverfall
in der Zeit der Weimarer Republik. Weil er in dieser Welt keine Perspektive mehr
sieht, beschließt er, sich an seinem 50. Geburtstag umzubringen. Da trifft er in
einer Tanzbar Hermine. Mit ihr lernt er tanzen und gewöhnt sich an die Jazzmusik,
die er zuvor verabscheute. Er lernt dabei den Saxophonisten Pablo, den Liebhaber
Hermines, näher kennen, der ihm in seiner tierhaften Naivität wie ein Kind erscheint,
das das Leben genießt, ohne sich um das Gestern oder um das Morgen zu kümmern.
Der Wolfscharakter, das Wilde, bricht
sich in Harry Hallers Seele Bahn, als er am Ende sogar auf ihren eigenen „Befehl“
Hermine mit einem Stich in die Brust tötet.
In Hermine kann man Ahriman als Todesgott wiedererkennen.[21]
Sie trat bei dem finalen Maskenball als Harrys Jugendfreund Hermann auf.
Pablo dagegen ist der Verführer, der
Harry das Tor zu den sinnlichen Genüssen öffnet, also eine mehr luziferische Figur.
Der Herausgeber, der die Geschichte
Harrys, die „nur für Verrückte“ ist, gefunden hat, erzählt in seinem Vorwort:
„Diese Aufzeichnungen – einerlei,
wie viel oder wenig realen Erlebens ihnen zugrunde liegen mag – sind ein Versuch,
die große Zeitkrankheit nicht durch Umgehen und Beschönigen zu überwinden, sondern
durch den Versuch, die Krankheit selber zum Gegenstand der Darstellung zu machen.
Sie bedeuten, ganz wörtlich, einen Gang durch die Hölle, einen bald angstvollen,
bald mutigen Gang durch das Chaos einer verfinsterten Seelenwelt, gegangen mit dem
Willen, die Hölle zu durchqueren, dem Chaos die Stirn zu bieten, das Böse bis zum
Ende zu erleiden.“[22]
Auch Harry Haller ist, wie Hans Castorf
ein schwacher Mensch, dem die michaelischen Ichkräfte[23]
fehlen. Er lässt sich treiben und handelt nicht aus eigener Initiative. Immerhin
ist er hellsichtig, was die Zukunft anbelangt: er sieht den kompletten Zerfall der
abendländischen Kultur und den Zweiten Weltkrieg voraus und steckt mit seiner pessimistischen
Lebenseinstellung auch den Leser des Romans an.
Ich habe die beiden Romane ausgewählt,
weil sie die geistige Stimmung der Menschen vor dem Ersten („Der Zauberberg“) und
vor dem Zweiten Weltkrieg („Der Steppenwolf“) gut beschreiben.
Obwohl es in jener Zeit bereits die
michaelischen Impulse der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners gab, griffen die beiden
deutschen Großschriftsteller sie (trotz ihrer biografischer Nähe zum Geistesforscher[24])
nicht auf, sondern gefielen sich in der Rolle der Beobachter eines Zustandes, der
immer mehr das geistige Vakuum erzeugte, in das dann die Massen durch einen begabten
Redner hinein „geführt“ wurden.
Sowohl Rudolf Steiner, der unermüdlich
Tag und Nacht tätig war, um der Menschheit die neue Geistesoffenbarung und zahlreiche
Kulturimpulse zu bringen, die aus der Menschheitskrise herausführen können, als
auch der Müßiggänger Adolf Hitler, der ähnlich wie der Steppenwolf bis zur Mittagszeit
im Bett liegen blieb und am liebsten Bücher las, tragen in ihren Namen das germanische
Wort für „Wolf“: Rudolf heißt „Ruhmwolf“, Adolf „Edelwolf“.
Ein Trick des Schicksals hat die Namen
vertauscht. Denn Adolf Hitler hat den größeren, wenn auch zweifelhafteren Ruhm erlangt
und wird heute als „Weltfaszinosum“ bezeichnet, während in Rudolf Steiner das Edelste,
wozu die Menschheit fähig ist, zur Erscheinung kam.
Zum Abschluss meines Vortrages lese
ich eine Stelle aus einem Vortrag von Rudolf Steiner vor, in dem er im Herbst 1920
eine kleine Gemeinschaft von Anhängern Michaels den Millionen Menschen gegenüberstellt,
die über die Erde hin ein „trauriges Zeitalter“ heraufziehen lassen würden, wie
es im „Zauberberg“ und im „Steppenwolf“ für die 20er Jahre beschrieben wird:
„Denken Sie einmal, wie unsere Verantwortlichkeit
erhöht wird, wenn wir wissen: Wäre niemand auf der Erde, der für wahrhafte, echte
Moral oder überhaupt geistige Ideale erglühen kann in seiner Seele, so würden wir
nicht beitragen zu einem Fortgange unserer Welt, zu einer Neuschöpfung, sondern
zu einem Absterben unserer Welt. Diese Leuchtekraft, die hier auf der Erde ist,
wirkt ins Weltall hinaus. Das ist allerdings eben für das gewöhnliche menschliche
Wahrnehmen zunächst unwahrnehmbar, wie da hinausstrahlt von der Erde, was in dem
Menschen Moralisches lebt. Ja, wenn über die ganze Erde heraufziehen würde ein trauriges
Zeitalter, in dem Millionen und Millionen von Menschen nur in Ungeistigkeit vergehen
würden – das Geistige zu gleicher Zeit hier einschließlich des Moralischen gedacht,
denn so ist es ja auch – dann würde, wenn nur ein Dutzend Menschen mit heller moralisch-geistiger
Begeisterung da wären, doch die Erde erstrahlen geistig-sonnenhaft.“[25]
Foto: Renate Deck
[1] Es
handelt sich dabei um die Eltern eines Helden, der später eine entscheidende Rolle
im Kampf um Troja spielt: um Achilleus, dessen „Zorn“ der Dichter besingt.
[2] Ich
habe bei der Vorbereitung auf meinen Vortrag eine hervorragende Seite im Internet
gefunden, auf der nicht nur die Legenden anhand der Quellen erzählt werden, sondern
so gut wie alle künstlerischen Michaelsdarstellungen, die im Laufe der Jahrhunderte
entstanden sind, nach kunstgeschichtlichen Epochen geordnet, abgebildet sind: https://www.quis-ut-deus.de/einleitung/legenden/ Die meisten Abbildungen auf dieser Seite sind hieraus entnommen.
[3] Auch
Kaiser Julian Apostata wurde in die Mithrasmysterien eingeweiht. Eine Einweihungszeremonie
wird in der Biografie des Kaisers von Jacques Benoist-Mechin „Kaiser Julian oder
der verglühte Traum“ (französisches Original, Paris 1977) eindrucksvoll geschildert
(Deutsche Ausgabe aus der „Deutschen Buchgemeinschaft“ (o.J.) Seite 54ff.
[4] https://www.roemermuseum-osterburken.de/index.php?id=188
Rudolf Steiner berichtet von den sieben Stufen dieser Einweihung an verschiedenen
Stellen in seinen Vorträgen. Siehe: https://anthrowiki.at/Mithras-Einweihung
.
[5] Hadrian
wird innerhalb der anthroposophischen Literatur immer wieder als bedeutende Individualität
geschildert, genau wie Kaiser Julian der Abtrünnige, über den Henrik Ibsen (1828
– 1903) ein bekanntes Drama verfasst hat: „Kaiser und Galiläer“ (1873).
[6] Die
Maas war damals der Grenzfluss zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich. Domremy
lag auf der französischen Seite. Die deutschen Fürstentümer haben sich allerdings
erst 1871 nach dem Sieg über Frankreich zu einer Nation zusammengeschlossen.
[7] Griechisch
„hypo“ entspricht dem Lateinischen „sub“ und bedeutet „unter“, das griechische Wort
„mochlion“ bezeichnet den „Hebel“. Im Deutschen
spricht man vom „Angelpunkt“ oder auch vom „Zünglein an der Waage“.
[8] Zu
den sogenannten „Erzengel-Regentschaften“ siehe: https://anthrowiki.at/index.php?title=Erzengel-Regentschaften&redirect=no
[9] Rudolf
Steiner erwähnt in den Vorträgen von 1917 auch die „Deszendenz-Theorie“ Darwins
und stellt sie der „Metamorphosenlehre“ Goethes gegenüber. Er sagt, beide Anschauungen
haben ihre Berechtigung, aber eine allein führe in die Irre.
[10] Im
gleichen Jahr erscheint der Roman „Dracula“ von Bram Stocker, in dem es um einen
blutsaugenden Vampir geht. Über beide Bücher und ihre Nachwirkungen werde ich in
einem späteren Vortrag näher eingehen.
[11] Im
Gedicht „Die Worte des Glaubens“.
[12] Diese
Worte sind lange vor der Entstehung des Nationalsozialismus ausgesprochen und auch
heute noch aktuell. Rudolf Steiner verweist in diesem Zusammenhang bereits auf den
Grafen Artur de Gobineau (1816 – 1882) und auf Huston Stewart Chamberlin (1855 –
1927), die Begründer der Rassentheorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
auf die sich insbesondere die Nationalsozialisten beriefen. Auch dieses Thema werde
ich in meinem nächsten Vortrag zu vertiefen versuchen.
[13] Der
Autor hat das Buch um einen Freund mit Namen Giorgos Sorbas komponiert, den er in
den Jahren 1916 und 1917 auf seiner Heimatinsel Kreta kennen gelernt hat. Genau
30 Jahre später verarbeitet er seine Erlebnisse zu dem Roman „Alexis Sorbas“. Siehe
auch meine Gedanken zum Film: http://johannesws.blogspot.com/2018/09/der-pakt-mit-dem-teufel-gedanken-zu-dem.html
[14] Interessant
ist in diesem Zusammenhang, dass in den deutschen Staaten erst ungefähr um das Jahr
1875 Polizeikommissariate eingerichtet wurden, die Mordfälle nach wissenschaftlichen
Methoden untersuchen konnten. In der Zeit zwischen dem 3. April 1888 und dem 13.
Februar 1891, also etwa im Umkreis der Geburt von Agatha Christie, geschahen in
dem Londoner Stadtteil White Chapel (Eastend) elf grauenhafte Morde an Prostituierten,
die bald von der Sensationspresse einem mysteriösen Serienmörder „Jack the Ripper“
zugeschrieben wurden. Damals verfeinerten sich die Aufklärungsmethoden der britischen
Polizei. Diese konnte jedoch den Täter oder die Täter nie sicher ermitteln – ganz
im Gegensatz zu Sherlock Holmes oder Hercule Poirot.
[15] Er
besuchte das schottische Stonyhurst College und die österreichische Jesuitenschule
„Stella Matutina“ in Feldkirch in Vorarlberg.
[16] Der
Titel des Zyklus war: „True and False Paths of Spiritual Investigation”. Veröffentlicht
wurde er unter dem Titel „Das Initiatenbewusstsein“ (GA 243). Die Vorträge fanden
im Rahmen der sogenannten zweiten Sommerschule vom 9. bis 23. August statt. Organisiert
wurden diese englischen „Summer Schools“ von Daniel Nicol Dunlop und Eleonor Charlotte
Merry. Als Rudolf Steiner in Torquay weilte, war Agatha Christie 33 Jahre alt und
lebte mit ihrem ersten Mann in London. 1924 fand in der britischen Hauptstadt eine
Weltausstellung statt, für die Agatha und Charles Christie auf ihrer gemeinsamen
Weltreise Werbung gemacht hatten.
[17] Es
scheint mir auch kein Zufall zu sein, dass Agatha Christie für ihren bekanntesten
Detektiv, den sie 50 Jahre lang in zahlreichen Romanen erfolgreich ermitteln lässt,
den Namen „Hercule“ wählt. Die gebildete Autorin und Hobby-Archäologin hat mit Sicherheit
den Mythos von den zwölf Arbeiten des Herkules gekannt, dem natürlich ein Einweihungsweg
in die antiken Mysterien zugrundliegt.
[18] Brechts
„Dreigroschenoper“ wird im Jahre 1928 in Berlin mit großem Erfolg uraufgeführt.
Die Songs von Kurt Weil wie der Mackie-Messer-Song werden zu Gassenhauern.
[19] Das
kann man der Angabe im Roman entnehmen, dass in jenem Herbst und Winter der Song
„Yearning“ von Benny Davis und Joe Burke sehr populär gewesen sei. Englisch „to
yearn“ bedeutet „sich in Sehnsucht nach etwas verzehren“. Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=x5Heg2RJr2A.
Im Jahr 1925 ist Rudolf Steiner verstorben.
[20] Auch
der Autor Hermann Hesse wurde im Jahre 1927 50 Jahre alt. Im Augenblick, als der
Roman einsetzt, ist Harry Haller 48 Jahre alt. Es ist bekannt, dass auch Hermann
Hesse, der zu dieser Zeit in Bern lebte, damals eine seelische Krise durchmachte
und an Suizid dachte. Die Initialen Harry Hallers sind die gleichen wie die von
Hermann Hesse: H.H. Außerdem erinnert der Familienname „Haller“ an die Michaels-Stadt
Hall, so wie beispielsweise der Name „Esslinger“ sich auf die Stadt Esslingen bezieht
oder der Name „Frankfurter“ auf Frankfurt.
[21] Dass
der Name „Hermine“ an den griechischen Gott Hermes erinnert, ist gewiss kein Zufall.
Diesem Gott fällt die Aufgabe zu, den Toten ins Reich des Todes zu begleiten.
[22] Hermann
Hesse, Der Steppenwolf, Suhrkamp Taschenbuch Nr. 175, 61. Auflage 2018, S. 31. Der
Roman ist derzeit „Sternchenthema“ im Fach Deutsch der Jahrgangsstufen am Gymnasium
und Thema beim Abitur.
[23] In
dem Namen „Michael“ verbirgt sich das Wort „Ich“. Der Hebräische Name bedeutet:
„Wer ist wie Gott“ (Lateinisch: „Quis ut Deus?“) und erscheint wie eine Antwort
auf die Verheißung Luzifers beim Darreichen der verbotenen Frucht vom „Baum der
Erkenntnis“: „Wenn ihr davon esset, werdet ihr sein wie Gott: ihre werdet wissen,
was Gut und Böse ist.“
[24] Thomas
Mann lebte seit dem Jahre 1896 in München, wo im Jahre 1907 der schon erwähnte Vierte
Theosophische Kongress stattfand und in den Jahren zwischen 1910 und 1913 die vier
Mysteriendramen aufgeführt wurden, aber er fand keinen Zugang zu Rudolf Steiner.
Dafür interessierte er sich für die Freimaurerei.
Hermann Hesse war persönlich bekannt mit Emil Molt, dem
Fabrikanten, der die Gründung der ersten Waldorfschule in den Räumen seiner Zigarettenfabrik
ermöglichte, und mit Albert Steffen, dem anthroposophischen Schriftsteller, der
nach dem Tod Rudolf Steiners den Vorsitz der anthroposophischen Gesellschaft übernahm.
Auch Hermann Hesse hatte einen Hang zur Mystik, orientierte sich aber eher an der
östlich-indischen Spiritualität („Siddharta“) und hielt sich viel auf dem Monte
Verita bei Ascona am Lago Maggiore auf.
[25] Rudolf
Steiner, Die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia, GA 202, S. 195f