Mittwoch, 5. September 2018

Heilig-Blut-Tradition und Lichtwunder im Taubertal - Besuch in Rothenburg und Creglingen


Für Dienstagnachmittag (28. August 2018) hatte ich mich mit Freunden aus dem Heidenheimer Lesekreis, bei dem ich einmal mitgemacht habe, in Rothenburg ob der Tauber verabredet.
So fuhr ich also nach meinem Deutschkurs in Crailsheim in die Stadt an der Tauber, wo ich gegen 12.30 Uhr ankam. Ich lief, nachdem ich mein Auto auf einem Parkplatz abgestellt hatte, zügig auf der zentralen Fußgängerzone ins Stadtzentrum. Dabei erinnerte ich mich daran, dass ich vor ein paar Jahren in einem Geschäft in Rothenburg ein Schweizer Messer gekauft hatte, das ich jedoch beim Holzspalten geschrottet hatte. So kaufte ich mir für 33,- Euro ein neues.
Anschließend ging ich weiter bis zur Jakobuskirche, wo ich nach der Gruppe aus Heidenheim fragte. Sie war noch nicht da gewesen. So hinterließ ich bei der Frau an der Kasse meine Handy-Nummer und ging in das nahe gelegene Gasthaus „Küchenmeister“, wo ich mich so auf die Terrasse setzte, dass ich den Eingang zur Kirche überblicken konnte.
Ich bestellte mir fränkische Würstchen mit Sauerkraut und Kartoffeln und kam mit einem Ulmer Privatier ins Gespräch, der mit seiner chinesischen Frau am Nachbartisch saß.



Mein Blick ging genau auf den am Ostchor stehenden spätgotischen Christus, der das Blut auf seiner Seite in einem Kelch sammelte. Später treffe ich auf dieses Motiv noch öfters, allerdings meist ohne den Kelch. Mir war dieser „Blutchristus“ bei meinen früheren Besuchen in Rothenburg nie aufgefallen. Heute sehe ich ihn zum ersten Mal bewusst und denke natürlich an den „Heilig-Blut-Altar" von Tilman Riemenschneider, der im Westchor der Jakobuskirche steht.
Zuerst schaue ich mir aber die anderen Kunstwerke im Schiff der Jakobuskirche an, vor allem aber den Herlin-Altar im Ostchor. Er wird „Zwölfboten-Altar“ genannt, weil auf der Predella die zwölf Apostel mit Christus und ihren Attributen dargestellt sind.



Ich sehe wieder Bartholomäus mit dem Messer, aber auch Simon mit der Säge. Petrus wird mit einer Brille gezeigt.



Der Nördlinger Malermeister hat auf der Vorderseite acht Tafeln mit der Geburtsgeschichte geschaffen: Verkündigung, Heimsuchung, Anbetung der Hirten nach Lukas und Beschneidung auf dem linken, Anbetung der Könige nach Matthäus, Darstellung im Tempel und Marientod auf dem rechten Flügel.
Im Schrein erkennt man unter dem Kreuz sechs als Vollplastiken gestaltete Heilige (von links nach rechts): Elisabeth von Thüringen, Apostel Jakobus der Ältere und Maria links vom Kreuz, Johannes der Evangelist, der Heilige Leonhard und der Heilige Antonius rechts vom Kreuz.



Interessant für mich ist, dass es in diesem Marienzyklus ähnlich wie in dem der Haller Urbankirche auch die relativ selten dargestellte Szene der Beschneidung gibt. Das ist offenbar ein Hinweis auf Antwerpen, wo die Heilig-Blut-Reliquie, die durch diesen Akt entstanden war, traditionsgemäß bis zur Zerstörung der Kathedrale aufbewahrt wurde.  



Auf der Rückseite des Hauptaltars finden sich Darstellungen aus der Jakobuslegende wie zum Beispiel das Hühnerwunder.
Jakobus Major steht auch einmal als Statue im Kirchenschiff. Es gibt im nördlichen Seitenschiff auch zwei Fenster, die die beiden Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon zeigen.



Ganz oben im Gesprenge des Riemenschneideraltars im erhöhten Westchor sehe ich wieder die Christusfigur mit der offenen Seite. Überhaupt ist dieser Rothenburger Heiligblut-Altar, der im Mittelschrein eine äußerst lebendige Abendmahlsszene zeigt, ein großartiges Kunstwerk. Christus reicht Judas, der genau in der Mitte steht, den Bissen, ohne ihn anzuschauen, während der bartlose Jünger, den der Herr lieb hatte, links von Judas ganz vorne am Tisch sitzt, genau Christus gegenüber im Vordergrund. Er war es, der auf Bitten des Petrus Jesus gefragt hatte, wer den Herrn verraten würde.



Auf dem linken Seitenflügel sieht man den Einzug in Jerusalem, auf dem rechten die Ölbergszene, im Gegensatz zu den Vollplastiken im Mittelschrein als Reliefdarstellungen geschnitzt. In der zweiten Etage halten zwei Engel ein Kreuz mit der Heilig-Blut-Reliquie. Links steht Maria, deren Gesicht der Maria im Marienaltar von Creglingen zum Verwechseln ähnlich sieht, rechts ein Engel mit ausgebreitetem und nach oben weisendem linken Flügel, dessen Gesicht viel Ähnlichkeit mit dem des Evangelisten Johannes hat. Auf der dritten und letzten Etage steht auf einem Postament , wie bereits erwähnt, der dornenbekrönte Christus, der auf seine offene Seite zeigt, aus der das heilbringende Blut hervorquillt.
Es wird mir klar, dass in der Staufergründung Rothenburg eine Gralstradition lebendig war, die allerdings später durch die Feierlichkeiten um den Meistertrunk des Bürgermeisters Nisch während der Belagerung der Stadt im 30-jährigen Krieg verdeckt wurde und heute vergessen ist. Damals war Rothenburg schon evangelisch.
Die nächste Kirche, die ich besuche, ist die Franziskanerkirche.
Das Rothenburger Franziskanerkloster wurde 1281 von zwei Ordensbrüdern aus Schwäbisch Hall an der Stelle gegründet, wo damals neben einer Quelle und einer Linde eine kleine, dem Jakobus geweihte Kapelle stand. Auch die Barfüßerniederlassung in Hall, die beim Brand des Jahres 1728 vernichtet wurde, war ein Franziskanerkloster. Die Klosterkirche Sankt Jakobus stand an der Stelle, wo heute das Haller Rathaus steht.
An einer Tafel lese ich, dass Jorge Bergoglio im Jahre 1986 einige Monate in Rothenburg gewohnt hat, um hier im damals unmittelbar bei der Franziskanerkirche existierenden Goethe-Institut (heute ist in dem Gebäude eine Montessori-Schule) Deutsch zu lernen.



Mit der Dame, die an diesem Nachmittag Kirchenaufsicht hat, komme ich ins Gespräch und sie ist ebenfalls der Meinung, dass der Argentinier vielleicht auch deshalb als Papst den Namen „Franziskus“ angenommen hat, weil er hier in Deutschland gleich neben einer Franziskuskirche gelebt hat.
In der Kirche stehen vor dem noch erhaltenen Lettner zwei Steinplastiken rechts und links des Durchgangs: rechts erkenne ich wieder den Patron der Stadt und der Pilger, den Apostel Jakobus Major, links den Paderborner Heiligen Liborius, was mich ein wenig verwundert. Ich kenne diesen Heiligen nur aus meiner Zeit in Ostwestfalen, als ich Lehrer in der Waldorfschule Schloss Hamborn war.



Von Sankt Franziskus gehe ich die Straße weiter und verlasse die Altstadt, die auch heute wieder von unzähligen Touristen aus der ganzen Welt bevölkert ist, durch ein Stadttor. So gelange ich zur Blasius-Kapelle, die auf den Resten der einstigen staufischen Pfalz steht. Auf dem jetzt leeren Platz der ehemaligen Burg entdecke ich eine Staufer-Stele, wie sie seit einigen Jahren an allen ehemals staufischen Orten steht.



Dabei begegnet mir auch König Konrad III. wieder, den ich erst vor kurzem im Münster von Schwarzrheindorf „angetroffen“ hatte. Dieser erste Stauferkönig, so lese ich auf der Stele, erhielt im Jahre 1142 vom Würzburger Stift Neumünster den Platz, auf dem er dann die „rote Burg“ bauen lassen konnte. In staufischer Zeit entstand dann in der Nähe der Burg auf dem Felsen über der Tauber die Civitas.



Auch das Wappen der Großcomburg entdecke ich an der Außenfassade des Stadttores wieder, den Löwen mit dem Sparren im Maul. Jetzt erinnerte ich mich, dass die Brüder, welche eine erste Burg und ein Kloster auf dem Comberg bei Hall gegründet hatten, aus Rothenburg stammten. Vielleicht brachten sie von daher auch die Heilig-Blut-Verehrung, sprich die Gralstradition, mit. Dem müsste ich weiter nachforschen, was ich aber jetzt mangels Zeit nicht kann.



Ich verlasse die Stadt auf der gleichen Straße, auf der ich gekommen war. Dabei werfe ich noch einen Blick in die Heilig-Geist-Kirche. Ich bewundere das gotische Sakramentshäuschen, auf dem wieder der „Schmerzensmann“ steht. Auch hier zeigt er, diesmal mit beiden Händen, auf seine Wunde. Das Besondere ist, dass er auf einem abgeschlagenen Haupt steht. Ich muss gleich an das Haupt Johannes des Täufers denken. Die Tür zum Allerheiligsten wird umrahmt von einer „Verkündigungsszene“: der Engel Gabriel kommt von links, Maria mit einem Buch in den Händen steht rechts.



Ich hole das Auto und fahre weiter nach Creglingen, das etwa 20 Kilometer von Rothenburg entfernt liegt. Die Herrgottskirche steht bei einem Friedhof in einem Seitental der Tauber. Ich komme etwa um 16.15 Uhr an.
Ich wusste schon, dass jedes Jahr in der Zeit zwischen dem 15. (Mariä Himmelfahrt) und dem 31. August das sogenannte „Lichtwunder“ stattfindet. Zwischen 16.30 und 17.30 wandert das Sonnenlicht über das Gesicht der in den Himmel auffahrenden Maria von Tilman Riemenschneider. Ich bleibe also, zusammen mit ungefähr sieben weiteren Zuschauern, sitzen und beobachte das Geschehen. Zuerst wird das Relief der Verkündigungsdarstellung auf dem linken Seitenflügel erleuchtet, dann die ersten drei von sechs Aposteln links von Maria. Die sechs anderen Apostel rechts von Maria bleiben im Schatten. Schließlich erleuchtet das Abendsonnenlicht zärtlich das wunderschöne liebliche Gesicht Marias selbst. Es ist wirklich berührend!



Diese stille Stunde ist wie ein Gottesdienst. Alle Anwesenden sitzen ruhig und andächtig auf den Bänken. Nur ab und zu steht einer ruhig auf und fotografiert den Dialog der Gottesmutter mit der Sonne.



In der Herrgottskirche gibt es auch einen Marienaltar, dessen Szenen in manchen Details denjenigen auf dem Riedener Altar, den man im Hällisch-Fränkischen Museum bewundern kann, entsprechen. So gibt es eine Darstellung der Verlobung Mariens und eine Geburtsdarstellung, die beide mit Sicherheit aus dem gleichen Antwerpener Atelier stammen wie die Darstellung auf dem Riedener Altar. Wieder weisen die Altartafeln auf die flämische Hauptstadt.



Als ich wieder zu Hause bin, bekomme ich endlich einen Anruf von meinem Freund aus Heidenheim, den ich mehrmals vergeblich zu erreichen versucht hatte. Ich erfahre, dass die Gruppe die Reise genau im umgekehrten Sinne gemacht hat: sie waren zuerst in Creglingen und dann in Rothenburg. Dort haben sie von der Kassiererin meine Nachricht erhalten, leider viel zu spät.

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