Für Dienstagnachmittag (28. August 2018) hatte ich
mich mit Freunden aus dem Heidenheimer
Lesekreis, bei dem ich einmal mitgemacht habe, in Rothenburg ob der Tauber verabredet.
So fuhr ich also nach meinem
Deutschkurs in Crailsheim in die Stadt an der Tauber, wo ich gegen 12.30 Uhr
ankam. Ich lief, nachdem ich mein Auto auf einem Parkplatz abgestellt hatte,
zügig auf der zentralen Fußgängerzone ins Stadtzentrum. Dabei erinnerte ich
mich daran, dass ich vor ein paar Jahren in einem Geschäft in Rothenburg ein
Schweizer Messer gekauft hatte, das ich jedoch beim Holzspalten geschrottet hatte. So kaufte ich mir für 33,- Euro ein neues.
Anschließend ging ich weiter bis
zur Jakobuskirche, wo ich nach der Gruppe aus Heidenheim fragte. Sie war noch nicht da
gewesen. So hinterließ ich bei der Frau an der Kasse meine Handy-Nummer und
ging in das nahe gelegene Gasthaus „Küchenmeister“, wo ich mich so auf die
Terrasse setzte, dass ich den Eingang zur Kirche überblicken konnte.
Ich bestellte mir fränkische
Würstchen mit Sauerkraut und Kartoffeln und kam mit einem Ulmer Privatier ins
Gespräch, der mit seiner chinesischen Frau am Nachbartisch saß.
Mein Blick ging genau auf den am
Ostchor stehenden spätgotischen Christus, der das Blut auf seiner Seite in
einem Kelch sammelte. Später treffe ich auf dieses Motiv noch öfters,
allerdings meist ohne den Kelch. Mir war dieser „Blutchristus“ bei meinen
früheren Besuchen in Rothenburg nie aufgefallen. Heute sehe ich ihn zum ersten
Mal bewusst und denke natürlich an den „Heilig-Blut-Altar" von Tilman
Riemenschneider, der im Westchor der Jakobuskirche steht.
Zuerst schaue ich mir aber die
anderen Kunstwerke im Schiff der Jakobuskirche an, vor allem aber den Herlin-Altar
im Ostchor. Er wird „Zwölfboten-Altar“ genannt, weil auf der Predella die zwölf
Apostel mit Christus und ihren Attributen dargestellt sind.
Ich sehe wieder Bartholomäus mit dem Messer, aber auch Simon mit der Säge. Petrus wird mit einer Brille gezeigt.
Ich sehe wieder Bartholomäus mit dem Messer, aber auch Simon mit der Säge. Petrus wird mit einer Brille gezeigt.
Der Nördlinger Malermeister hat
auf der Vorderseite acht Tafeln mit der Geburtsgeschichte geschaffen:
Verkündigung, Heimsuchung, Anbetung der Hirten nach Lukas und Beschneidung auf dem
linken, Anbetung der Könige nach Matthäus, Darstellung im Tempel und Marientod
auf dem rechten Flügel.
Im Schrein erkennt man unter dem
Kreuz sechs als Vollplastiken gestaltete Heilige (von links nach rechts):
Elisabeth von Thüringen, Apostel Jakobus der Ältere und Maria links vom Kreuz,
Johannes der Evangelist, der Heilige Leonhard und der Heilige Antonius rechts
vom Kreuz.
Interessant für mich ist, dass es
in diesem Marienzyklus ähnlich wie in dem der Haller Urbankirche auch die relativ selten dargestellte Szene der Beschneidung gibt. Das ist
offenbar ein Hinweis auf Antwerpen, wo die Heilig-Blut-Reliquie, die durch
diesen Akt entstanden war, traditionsgemäß bis zur Zerstörung der Kathedrale aufbewahrt wurde.
Auf der Rückseite des Hauptaltars finden sich Darstellungen aus der Jakobuslegende wie zum Beispiel das Hühnerwunder.
Auf der Rückseite des Hauptaltars finden sich Darstellungen aus der Jakobuslegende wie zum Beispiel das Hühnerwunder.
Jakobus Major steht auch einmal
als Statue im Kirchenschiff. Es gibt im nördlichen Seitenschiff auch zwei
Fenster, die die beiden Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon
zeigen.
Ganz oben im Gesprenge des
Riemenschneideraltars im erhöhten Westchor sehe ich wieder die Christusfigur
mit der offenen Seite. Überhaupt ist dieser Rothenburger Heiligblut-Altar, der
im Mittelschrein eine äußerst lebendige Abendmahlsszene zeigt, ein großartiges
Kunstwerk. Christus reicht Judas, der genau in der Mitte steht, den Bissen,
ohne ihn anzuschauen, während der bartlose Jünger, den der Herr lieb hatte, links von Judas ganz vorne am Tisch sitzt, genau Christus gegenüber im Vordergrund. Er war es,
der auf Bitten des Petrus Jesus gefragt hatte, wer den Herrn verraten würde.
Auf dem linken Seitenflügel sieht
man den Einzug in Jerusalem, auf dem rechten die Ölbergszene, im Gegensatz zu
den Vollplastiken im Mittelschrein als Reliefdarstellungen geschnitzt. In der
zweiten Etage halten zwei Engel ein Kreuz mit der Heilig-Blut-Reliquie. Links
steht Maria, deren Gesicht der Maria im Marienaltar von Creglingen zum
Verwechseln ähnlich sieht, rechts ein Engel mit ausgebreitetem und nach oben
weisendem linken Flügel, dessen Gesicht viel Ähnlichkeit mit dem des Evangelisten Johannes hat. Auf der dritten und letzten Etage steht auf einem Postament , wie bereits erwähnt,
der dornenbekrönte Christus, der auf seine offene Seite zeigt, aus der das heilbringende
Blut hervorquillt.
Es wird mir klar, dass in der
Staufergründung Rothenburg eine Gralstradition lebendig war, die allerdings
später durch die Feierlichkeiten um den Meistertrunk des Bürgermeisters Nisch
während der Belagerung der Stadt im 30-jährigen Krieg verdeckt wurde und heute vergessen
ist. Damals war Rothenburg schon evangelisch.
Die nächste Kirche, die ich
besuche, ist die Franziskanerkirche.
Das Rothenburger Franziskanerkloster wurde
1281 von zwei Ordensbrüdern aus Schwäbisch Hall an der Stelle gegründet, wo
damals neben einer Quelle und einer Linde eine kleine, dem Jakobus geweihte
Kapelle stand. Auch die Barfüßerniederlassung in Hall, die beim Brand des
Jahres 1728 vernichtet wurde, war ein Franziskanerkloster. Die Klosterkirche
Sankt Jakobus stand an der Stelle, wo heute das Haller Rathaus steht.
An einer Tafel lese ich, dass
Jorge Bergoglio im Jahre 1986 einige Monate in Rothenburg gewohnt hat, um hier
im damals unmittelbar bei der Franziskanerkirche existierenden Goethe-Institut
(heute ist in dem Gebäude eine Montessori-Schule) Deutsch zu lernen.
Mit der Dame, die an diesem
Nachmittag Kirchenaufsicht hat, komme ich ins Gespräch und sie ist ebenfalls
der Meinung, dass der Argentinier vielleicht auch deshalb als Papst den Namen
„Franziskus“ angenommen hat, weil er hier in Deutschland gleich neben einer
Franziskuskirche gelebt hat.
In der Kirche stehen vor dem noch
erhaltenen Lettner zwei Steinplastiken rechts und links des Durchgangs: rechts
erkenne ich wieder den Patron der Stadt und der Pilger, den Apostel Jakobus Major,
links den Paderborner Heiligen Liborius, was mich ein wenig verwundert. Ich
kenne diesen Heiligen nur aus meiner Zeit in Ostwestfalen, als ich Lehrer in
der Waldorfschule Schloss Hamborn war.
Von Sankt Franziskus gehe ich die
Straße weiter und verlasse die Altstadt, die auch heute wieder von unzähligen
Touristen aus der ganzen Welt bevölkert ist, durch ein Stadttor. So gelange ich
zur Blasius-Kapelle, die auf den Resten der einstigen staufischen Pfalz steht.
Auf dem jetzt leeren Platz der ehemaligen Burg entdecke ich eine Staufer-Stele,
wie sie seit einigen Jahren an allen ehemals staufischen Orten steht.
Dabei begegnet mir auch König Konrad III. wieder, den ich erst vor kurzem im Münster von Schwarzrheindorf „angetroffen“ hatte. Dieser erste Stauferkönig, so lese ich auf der Stele, erhielt im Jahre 1142 vom Würzburger Stift Neumünster den Platz, auf dem er dann die „rote Burg“ bauen lassen konnte. In staufischer Zeit entstand dann in der Nähe der Burg auf dem Felsen über der Tauber die Civitas.
Dabei begegnet mir auch König Konrad III. wieder, den ich erst vor kurzem im Münster von Schwarzrheindorf „angetroffen“ hatte. Dieser erste Stauferkönig, so lese ich auf der Stele, erhielt im Jahre 1142 vom Würzburger Stift Neumünster den Platz, auf dem er dann die „rote Burg“ bauen lassen konnte. In staufischer Zeit entstand dann in der Nähe der Burg auf dem Felsen über der Tauber die Civitas.
Auch das Wappen der Großcomburg
entdecke ich an der Außenfassade des Stadttores wieder, den Löwen mit dem
Sparren im Maul. Jetzt erinnerte ich mich, dass die Brüder, welche eine erste
Burg und ein Kloster auf dem Comberg bei Hall gegründet hatten, aus Rothenburg
stammten. Vielleicht brachten sie von daher auch die Heilig-Blut-Verehrung,
sprich die Gralstradition, mit. Dem müsste ich weiter nachforschen, was ich
aber jetzt mangels Zeit nicht kann.
Ich verlasse die Stadt auf der
gleichen Straße, auf der ich gekommen war. Dabei werfe ich noch einen Blick in
die Heilig-Geist-Kirche. Ich bewundere das gotische Sakramentshäuschen, auf dem
wieder der „Schmerzensmann“ steht. Auch hier zeigt er, diesmal mit beiden
Händen, auf seine Wunde. Das Besondere ist, dass er auf einem abgeschlagenen
Haupt steht. Ich muss gleich an das Haupt Johannes des Täufers denken. Die Tür
zum Allerheiligsten wird umrahmt von einer „Verkündigungsszene“: der Engel
Gabriel kommt von links, Maria mit einem Buch in den Händen steht rechts.
Ich hole das Auto und fahre
weiter nach Creglingen, das etwa 20 Kilometer von Rothenburg entfernt liegt.
Die Herrgottskirche steht bei einem Friedhof in einem Seitental der Tauber. Ich
komme etwa um 16.15 Uhr an.
Ich wusste schon, dass jedes Jahr in der
Zeit zwischen dem 15. (Mariä Himmelfahrt) und dem 31. August das
sogenannte „Lichtwunder“ stattfindet. Zwischen 16.30 und 17.30 wandert das
Sonnenlicht über das Gesicht der in den Himmel auffahrenden Maria von
Tilman Riemenschneider. Ich bleibe also, zusammen mit ungefähr sieben weiteren
Zuschauern, sitzen und beobachte das Geschehen. Zuerst wird das Relief der
Verkündigungsdarstellung auf dem linken Seitenflügel erleuchtet, dann die
ersten drei von sechs Aposteln links von Maria. Die sechs anderen Apostel
rechts von Maria bleiben im Schatten. Schließlich erleuchtet das
Abendsonnenlicht zärtlich das wunderschöne liebliche Gesicht Marias selbst. Es ist
wirklich berührend!
Diese stille Stunde ist wie ein
Gottesdienst. Alle Anwesenden sitzen ruhig und andächtig auf den Bänken. Nur ab
und zu steht einer ruhig auf und fotografiert den Dialog der Gottesmutter mit
der Sonne.
In der Herrgottskirche gibt es
auch einen Marienaltar, dessen Szenen in manchen Details denjenigen auf dem
Riedener Altar, den man im Hällisch-Fränkischen Museum bewundern
kann, entsprechen. So gibt es eine Darstellung der Verlobung Mariens und eine
Geburtsdarstellung, die beide mit Sicherheit aus dem gleichen Antwerpener
Atelier stammen wie die Darstellung auf dem Riedener Altar. Wieder weisen die Altartafeln
auf die flämische Hauptstadt.
Als ich wieder zu Hause bin,
bekomme ich endlich einen Anruf von meinem Freund aus Heidenheim, den ich mehrmals vergeblich
zu erreichen versucht hatte. Ich erfahre, dass die Gruppe die Reise genau im
umgekehrten Sinne gemacht hat: sie waren zuerst in Creglingen und dann in
Rothenburg. Dort haben sie von der Kassiererin meine Nachricht erhalten, leider
viel zu spät.
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